beim Memorieren durchmaß er unermüdlich mit der
Predigt in der Hand und daran streichend und bes—
sernd und unterstreichend das Zimmer — was mit
wenigen Schritten geschehen war — halblaut und
mit lebhafter Bewegung des Kopfes sie vortragend.
Dabei stieß er einmal am Ende seiner Wanderung
beim Umwenden offenbar an einer besonders ein—
dringlichen Stelle mit dem Hinterkopf an den eichenen
Schrank, welcher der Tür gerade gegenüber stand,
was mir dann in meiner Kindererinnerung als not—
wendiges Zubehör zum Memorieren geblieben ist.
Uebrigens ist die vorhin erwähnte Erinnerung
vom Jahre 18859 nicht die früheste aus der bedeu—
tungsvollen Werdezeit der europäischen Verhältnisse,
die mir in dem empfänglichsten Alter zu durchleben
vergönnt war. Wie oft erzählte die Mutter uns
Kindern von der ersten Reise, welche sie in dem Jahr
nach ihrer Verheiratung mit dem Vater zum Besuch
der Eltern nach Nürnberg mächte, wie sich ihr Wagen
kaum durch die aufgeregte Menschenmenge zu winden
vermochte, die die Straßen erfüllte, wie ihr jüngerer
Bruder, damals Oberklässer, alltäglich zum Exer—
zieren ausrückte, als Mitglied der freiwilligen Stadt—
wehr. Es war das Frühjahr 1848. Und die Worte
„Sebastopol“ und „Malakoff“ klingen mir wie aus
nebelhafter Ferne noch aus den Gesprächen meines
Vaters in den Ohren.
Wie es aber um Deutschland in jener Zeit
noch bestellt war, davon erlebte ich 'alljährlich auch
in der Studierstube einen Beweis. Man sagt immer,
bekannte Klänge vermöchten eine ganze Welt längst
entschwundener Gedanken wieder zu neuem Leben zu
erwecken. Ich behaupte, dieselbe Wirkung erzeugen
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