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Dreißigstes Kapitel.
Zweimal war an Dürer die Versuchung, seiner Heimat
untreu zu werden, herangetreten: vor sechzehn Jahren in Vene—
dig, wo die Signoria ihn mit Anerbietung eines Jahrgehalts
von zweihundert Dukaten halten wollte, und nun hier in Ant—
werpen, aber beidemal gewann die Treue den Sieg.
Dreißigstes Rapitel.
Auch eine Reformationspredigt.
Fast zwei Jahre waren vergangen.
In der Karwoche des Jahres 1523 saß Albrecht Dürer
mit seinem Weibe an dem großen Tische seines Prunkgemachs.
Vor ihm lag ein großes Buch, daraus las er mit andächtig ge—
falteten Händen vor. Es war das neue Testament, welches
Doktor Martin Luther in der Einsamkeit seiner Wartburgzelle
in deutsches Gewand gekleidet hatte.
Auf der Heimreise hatte Dürer bereits erfahren, daß Luther
nicht tot sei, sondern noch lebe, und diese Botschaft hatte auf
ihn belebend gewirkt. Ein Strom neuer Kraft war durch sein
Gebein gegangen, und was er hernach bei seiner Heimkunft in
Nürnberg mit Augen gesehen und mit Ohren gehört, das war
vollends noch dazu angethan gewesen, ihm den Mut zu erheben
und Gott dem Herrn ein Preislied zu singen.
Vor andern deutschen Städten hatte Nürnberg die Sache
Luthers zu der ihrigen gemacht. Die Adelsgeschlechter waren
vorangegangen im Bekenntnis zu dem Evangelium und hatten
das gemeine Volk hinter sich dreingezogen. Der Rat, dessen
Mitglieder fast sämtlich entschieden evangelisch gesinnt waren,