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Sonderdepesche seinen wittenberger Ordensbruder von der
Meldung seines Freundes in Kenntnis.
Aber mit dieser einen Schreckenskunde war es nicht genug,
ungleich schlimmere Botschaft kam von Wittenberg. Kurfürst
Friedrich selbst sollte Luther zur schleunigsten Flucht veranlaßt
haben. Martin, vollständig ratlos und jeglicher Zuflucht bar,
habe darauf am 25. und 28. November die beiden witten—
berger Kanzeln der Stifts- und Stadtkirche bestiegen und unter
den Thränen der Zuhörer, unter heftigem Weinen der ange—
sehensten Männer, so des Melanchthon, öffentlich erklärt: er
werde niemals widerrufen, was er gelehrt, geschrieben, ge—
predigt; er glaube die Wahrheit, bitte für seine Feinde und
flehe, die Unbilden nicht zu rächen. Den Wittenbergern sage
er Lebewohl, er appelliere an ein künftiges Konzil.!48)
Die Wirkung dieser Nachrichten auf die Nürnberger war
eine ungeheure. Unter dem unmittelbaren Eindruck der witten—
berger Post schreibt Scheurl am 17. Dezember an Spalatin,
des Kurfürsten eigenen Sekretär: „Fluch über mich, Spalatin,
wenn ich wüßte, daß in diesem Jahre eine bitterere Bot—
schaft für Stadt und Gesellschaft an uns gelangt sei. Glaube
mir, wir sind so niedergeschlagen, so bekümmert über diese
Unwürdigkeit, um nicht zu sagen Religionsschändung, als
ob in einem Kriege das Heer 110) verloren gegangen wäre.
Ich war eine ziemliche Zeit im SZweifel, ob den Augustus
die von den Germanen zugefügte Niederlage des Varus
mehr außer Fassung gebracht habe: Du hättest sie sehen
sollen unsere Tischgenossen und die meisten Kaufleute, wie
sie mit wunderbarem Wehklagen über die Gewalt und
Unbill gegen Martinus sich ausließen“. 100) Und dem General⸗
vikar schildert er nach der Mitteilung beider Schreckens⸗
kunden ihre Stimmung mit den Worten: „Dies hat uns
§
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