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Hans Sachs.
Er meint, es sing’ die Nachtigall:
Da war’s eine Jungfrau fein;
Und kann sie ihm nicht werden,
Trauret das Herze sein.
Das Kirchenlied, welches, von der Keformation getragen,
in jener grossen Zeit seine Schwingen mächtig regte, ist nur
wenig von Hans Sachs gepflegt worden. Bekannt ist sein Lied:
Warumb betrübst du dich, mein Herz
Bekümmerst dich und trägest Schmerz
Nur um das zeitlich Gut?
Vertrau’ du deinem Herrn und Gott,
Der alle Ding” erschaffen hat u. s. w.
In seiner geistlichen Tagweis*) jubelt
Bibel in die Hand der Christen gegeben ist:
Selig sei Tag und Stunde,
Darin das göttlich Wort
Dir wiederumb ist kunde,
Der Seelen höchster Hort.
Nichts Lieber’s soll dir werden,
Kein Engel noch Kreatur
Im Himmel noch auf Erden.
er, dass nun die
Die didaktischen Gedichte Sachsens treten, wie sich
aus dem Verlaufe dieser Darstellung ergeben wird, unter sehr
verschiedenen poetischen Formen auf. Was die darin behandel-
ten Stoffe angeht, so nimmt sie der Dichter nicht selten aus dem
unmittelbarsten Leben, indem er das darstellt, was er auf seinen
Wanderungen gesehen und gehört, oder was er daheim ein lan-
ges Leben hindurch mit klugen Augen beobachtet hat. Meist
schöpft er jedoch aus einer unermesslichen Lektüre, die er in
treuherziger Weise seinem Publikum als lehrhafte Gedichte zu-
bereitet und mundgerecht macht. Erscheint er somit häufig nicht
als Originaldichter — eine Forderung, die jene Zeit weit weniger
stellte als die unsere -- so müssen wir doch den wunderbaren
Fleiss anerkennen, womit er von überallher das Erz, das er in
seinen poetischen Ofen warf, zusammentrug , und wir staunen
das merkwürdige Gedächtniss an, das so viel Lesestoff und so
*) Tageweise ist eine besondere Art von Liebeslied, dessen Form auch
auf geistliche Lieder übertragen wurde.