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auch vorkommt. Die Mangelhaftigkeit der Reime ferner, auf die man
sich gestützt hat, findet sich auch sonst bei Hans Sachs, wenn wir
z. B. lesen:
belaidigen : thädingen,
unfrid : beschaid. !
Die bisher vorgebrachten Gründe erweisen sich also nicht als so
zwingend, um Hans Sachs unbedingt von der Verfasserschaft aus-
zuschließen. Anderseits muß aber doch auch den positiven Angaben,
die in der Geschichte des Liedes für Hans Sachs in die Wagschale
fallen, einiges Gewicht beigelegt werden, vorausgesetzt, daß sie auf
besserer Grundlage ruhen als die Liederzuweisungen Johann Michael
Dilherrs. Dieser scheint eigentlich verursacht zu haben, daß das Lied
„Warum betrübst du dich, mein Herz“ als ein Hans-Sachsisches
angesehen wurde. ?
Wie immer es nun auch mit der Verfasserschaft dieses Liedes
bestellt sein mag, der Wert, den es im Nachleben des Hans Sachs
einnimmt, bleibt auf jeden Fall unbestreitbar. Es ist eines jener
Geisteserzeugnisse, das an sich ein Stück Literaturgeschichte geschaffen
hat, dem Hans Sachs den Inhalt gab, es ist das einzige Lied, das
als Werk des Hans Sachs bis zur Gegenwart herauf in dem Bereiche,
den das geistliche Lied abgrenzt, lebendig geblieben ist. Von Clauders
„Psalmodia“ (Lipsiae, 1630, centuria 1, 82)? und Ambrosius Hanne-
manns „Prodromus hymnologiae“ (Wittenberg, 1633) an bis auf unsere
Tage hat man das Lied dem Hans Sachs zugeschrieben. * In ver-
breiteten Werken wurde es so bekannt, z. B. durch Johann Krügers
1 Vgl. R. von Liliencron, Historische Volkslieder, 4. Bd., Leipzig,
1869, S. 299 (53 —54), S. 300 (81—892).
2 Ph. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied, 4. Bd., Leipzig,
1874, S. 129.
3 Nach Ranisch, Lebensbeschreibung, S. 191 (a), Goedeke, Grundr,
22, 415. In Josef Clauders „Psalmodia nova“ (Altenburgi, 1627), die ich benutzen
konnte, ist das Lied (S. 74—82) ohne Angabe eines Verfassers abgedruckt.
Von älteren Liederbüchern standen mir nur diese Ausgabe von Clauders „Psal-
modia“, Krügers „Praxis pietatis melica“ (1666) und Dilherrs „1000 Alte
und Neue Psalmen“ (1654) zur Verfügung. Die Frage durch die ganze ältere
Liederliteratur zu verfolgen, war mir nicht möglich.
4 So noch in Joh. Heinr. Kurtz’ Lehrbuch der Kirchengeschichte,
3. Aufl., 2. Bd., Leipzig, 1885, S. 135.