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Plundersweilern“ *? hat in das Verhältnis Goethes zu Hans Sachs
in diesem Falle noch schärfer hineinzuleuchten sich bemüht.
Die ersten Spuren des „Jahrmarktsfestes“ reichen darnach in die
Zeit vor Goethes ernsterer Beschäftigung mit Hans Sachs zurück,
sie führen nach Straßburg in das Jahr 1770. Die Raritätenkasten-
Poesie bot die erste Anregung, zu ihr trat dann in den ersten
Monaten des Jahres 1773 das aus Hans Sachs entlehnte Schönbart-
motiv; der Rhythmus der Guckkastenlieder hat für die Aufnahme des
Hans-Sachs-Verses im allgemeinen vorbereitet, die metrische und
szenische Technik führt in mancher Hinsicht auf Hans Sachs als
Vorbild. Viel zu schweres Geschütz läßt man meines Erachtens zur
Bekämpfung der Meinung auffahren, daß der von Goethe ange-
wendete Knittelvers der wirkliche Vers des Hans Sachs sei. Darüber
kann bei nur einiger Beschäftigung mit dieser Frage gar kein
Zweifel bestehen, daß Goethe den wirklichen‘ Hans - Sachs - Vers
des 16. Jahrhunderts nicht angewendet hat. Er hat eben jenen
Knittelvers aufgenommen, der auf den Namen des Hans Sachs
getauft war, er hat den Hans-Sachs-Vers des 18. Jahr-
hundert Ss angewendet. Von seinem Standpunkte aus konnte er sich
dabei mit vollem Rechte auf Hans Sachs berufen. Der Hans-Sachs-
Vers des 18. Jahrhunderts ist durch eine organische Weiterent-
wickelung aus dem Hans-Sachs-Vers des 16. Jahrhunderts entstanden.
Das Silbenzählen und die Verletzung des Wortakzentes empfand
man als Zwang und so schuf das feinere rhythmische Empfinden
beweglichere rhythmische Formen. Darin ' liegt das ganze Ge-
heimnis der Geschichte des Knittelverses. Sich kunstgerecht in die
Metrik vergangener Zeiten zu vertiefen, das war nicht Sache
des 18. Jahrhunderts. Man hat nicht silbenweise nachgeahmt, sondern
rhythmisch nachempfunden. Auch für uns ist ja der Hans-Sachs-Vers
des 16. Jahrhunderts nur ein halb gelöstes Rätsel. Aber nach einer
Seite muß die Geschichte des Knittelverses noch ausgebeutet werden
dadurch. daß an der Entwickelung seiner Form die geschichtliche
1 Max Herrmann, Jahrmarktsfest zu Plundersweilern. Entstehungs-
und Bühnengeschichte. Berlin, 1900, S. 60—100. Die Hans-Sachs-Literatur
hat wenige so eingehende und anregende Untersuchungen aufzuweisen wie den
angeführten Abschnitt in Herrmanns Buche. Man vgl. aber dazu J. Minors
Ausführungen in den Studien zur vgl. Literaturgeschichte. Hg. v. M. Koch,
3. Ba... Berlin. 1903. S. 321—331.