Armenpflege
III. Die Art der Unterstützung.
8 25.
a)
Die Unterstützungen der Armen geschehen entweder in der offenen oder geschlossenen Armenpflege.
Die offene Armenpflege gewährt Geldgaben, Kleidungs- und Bettstücke, Kohlen oder Lebensmittel.
Außerdem sorgt sie in Krankheitsfällen für ärztliche Behandlung, Verbandzeug, Brillen, Bruchbänder und
dergl. und für die nötigen Arzneien.
Sie gibt auch leihweise Handwerkszeug, Drehbänke, Hobelbänke und dergl. aus.
Welche Unterstützung zu reichen ist, ist nach Lage der Verhältnisse im einzelnen Falle zu beurteilen.
Die geschlossene Armenpflege gewährt die Aufnahme von Armen in geeignete Anstalten in Kranken—
häuser, Irrenanstalten, Blödenanstalten, Anstalten für Epileptische u. a. Sie vermittelt die Aufnahme in
das Sebastianspital, das Kinderspital, die Krippen- und Blindenanstalt. Außerdem verfügt dieselbe über
mehrere Armenhäuser und leitet die Zufluchtsanstalten für männliche und weibliche Obdachlose.
b)
8 26.
Die geschlossene Armenpflege ist nur dann angezeigt, wenn die Mittel der offenen Armenpflege zur Ab—
stellung des bestehenden Notstandes auf die Dauer nicht ausreichen. Sie soll daher der Regel nach nur eintreten
bei schwereren, der Behandlung in einem Krankenhause bedürfenden Erkrankungen, bei alten gebrechlichen und
erwerbsunfähigen, besonders alleinstehenden Leuten, welche weder bei Verwandten, noch sonstwie die nötige
Wartung und Bedienung finden können, bei verwaisten und hilflosen Kindern. Geboten ist sie bei Geisteskranken,
Blöden und schwerer kranken Epileptikern.
Im übrigen sind besonders jüngere arbeitsfühige Arme von der geschlossenen Armenpflege in der Regel
fern zu halten.
Endlich soll die geschlossene Armenpflege in solchen Fällen nicht eintreten, wo sie nur durch eine Lösung
des Familienverbandes möglich wäre, da eine solche nur zu leicht das Verantwortlichkeitsgefühl für die Familie
und den Selbsterhaltungstrieb, die sichersten Gegenmittel gegen Entsittlichung und dauernde Verarmung, stört
oder ertötet.
827.
Für die offene Armenpflege bilden Geldgaben die Regel, da auch bei Armen ein Interesse an einer
gewissen wirtschaftlichen Selbständigkeit besteht, und die Möglichkeit freier Verfügung über vorhandene Geldmittel
das Almosen weniger drückend empfinden läßt, als wenn einzelne Gaben tagtäglich abgeholt werden müssen. Die
Geldunterstützung ist regelmäßig da anzuwenden, wo die Armen zuverlässig als sparsame Haushälter bekannt sind.
Dabei können immerhin gelegentliche Wünsche nach anderen Zuwendungen (Koblen, Kleider) berücksichtiat werden,
wenn die Armenpflege solche Dinge billiger beschaffen kann.
Zugehende Arme sollen mit Vorsicht behandelt werden. Bei solchen sind, wenn nicht die Verhältnisse
dringend ein anderes erfordern, in der ersten Zeit nur geringe und kurzzeitige Naturalabgaben angezeigt. Fort—
laufende Geldgaben sollen niemals angewiesen werden, so lange nicht die Verhältnisse vollständig geklärt sind.
Anweisungen von Brot und Essen empfehlen sich besonders bei kinderreichen Familien und einzelstehenden
ersonen.
Heri Arme, welche der Aufklärung ihrer Verhältnisse Schwierigkeiten bereiten, unwahre Angaben machen oder
sonst in begründetem Verdachte stehen, daß sie die Armenpflege hintergehen, sind tunlichst so lange ohne Geldhilfe
zu lassen, bis über die wahren Verhältnisse Aufklärung geschaffen ist.
Der Verbrauch des angewiesenen Brotes ist genau zu überwachen. Wird festgestellt, daß Brotmarken nicht
eingelöst oder verkauft wurden, empfiehlt es sich den entsprechenden Betrag an der nächsten Unterstützung zu kürzen,
und zwar am Brote, wenn nur solches, am Gelde, wenn solches neben Brot u. a. angewiesen war.
Für alle verabreichten Kleidungs- und Bettstücke und sonstige Gaben wird jeweils beschlußmäßig eine
Verbrauchszeit festgesetzt, innerhalb welcher der gleiche Gegenstand regelmäßig an dieselbe Person nicht ein zweites
Mal verabfolgt werden darf. Diese Verbrauchszeiten, sowie die bei der Gegenrechnung gegen die Ausschlußsätze
zu berücksichtigenden Werte der Naturalgaben werden jeweils in besonderer Übersicht verteilt werden. Die An—
weisung größerer Mengen an Kleidung usw. auf einmal ist unzulässig; sie würde zum Verkaufe oder zur Ver—
pfündung verleiten. Das Vorhandensein und der Verbrauch der verabreichten Gegenstände ist zu überwachen.
w. Der Geschäftsgang.
8 28.
Alle amtlichen Anträge und Berichte der Armenpfleger, mit Ausnahme des Verkehrs unter den Armen—
pflegern selbst sind ausschließlich an die Bezirksvorsteher zu richten.