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In der Zactigen Komödie „Die geduldige und gehorsame Markgräfin
Griselda“ wird dem Markgrafen, der soeben den Auftrag zur Anordnung
des Hochzeitsmahles gegeben hat, unmittelbar darauf in demselben Acte
die Geburt einer Tochter angezeigt. Und kaum hat dann der Markgraf
den Auftrag zur Beseitigung dieser Tochter gegeben, so kommt auch schon
die Meldung, daß ihm Griselda einen Sohn geboren habe. Der Nürn—
berger Meister stellt sich überhaupt die Aufgabe, die von ihm behandelten
Stoffe auf die Gegenwart zu beziehen, sie mit Rücksicht auf und für
seine Zeitgenossen darzustellen. Daß in Folge dessen eine Illusion, wie
sie unsere Zeit verlangt, nicht erzielt werden kann, ist klar; dies wurde
auch gar nicht angestrebt. Dichter und Zuschauer jener Zeit begnügten
sich damit, die Handlung wie in einem Bildercyklus an sich vorüberziehen
zu lassen. Für diese Verzichtleistung auf jede Illusion spricht ja auch die
Gewohnheit, den Schlußworten des Dramas den Namen des Dichters
hinzuzufügen. Trotz dieser Mängel tritt aber in den dramatischen Ge—
dichten ebensowie in den Spruchgedichten die seltene Begabung des uner—
inüdlichen Meisters hervor. Seine Dramen erheben sich weit über die
seiner Zeitgenossen. Unsere bedeutendsten Literarhistoriker haben dies auch
rückhaltslos anerkannt. Hier die Worte eines derselben: „Hier denn (im
Drama), von der Tabulatur ganz abgewendet, liegt sein Hauptgebiet und
hier vorzüglich, sobald man nur weniger darauf achtet, was jetzt schon
erreicht, als was im Drange innerer Nöthigung mit Eifer erstrebt worden,
seine Bedeutung für unsere Literaturgeschichte. Er war unter den nam—
haften Dichtern seiner Zeit der erste, der unser Drama aus der Schmal-⸗
heit der Stoffe und der Roheit der Form, die es bisher eingeengt, anf
das freie Feld einer Kunstübung nach antiker Art zu versetzen suchte, und
nicht bloß in Nürnberg, weit uͤber die Grenzen seiner Vaterstadt hinaus
hat sein Vorbild einflußreich gewirkt.“ (Wackernagel.) Ein besonders
hoch anzurechnendes Verdienst erwarb sich Hans Sachs um das Drama,
indem er die Schranken, von denen bisher der Bereich der dramatischen
Stoffe umschlossen war, kühn überschritt. Seine Quellen sind dieselben,
wie zu den übrigen Dichtungen, er hat ja auch zahlreiche Stoffe, die
zuerst als Lieder oder Sprüche bearbeitet worden waren, später zu Dramen
verwendet (so z. B. die ungleichen Kinder Evä, Lisabetha und Lorenzo,
der unglückliche Hagwardus, die Sage von der schönen Magelona u. a.).
Am schwächsten sind entschieden Sachsens biblische Dramen, weil er sich
da der Ueberlieferung allzu ängstlich fuüügte. Er behandelt dramatisch die
Schöpfungsgeschichte, Sündenfall u. s. w., die Geschichte Jakobs und Esaus,
Davids und Absalons, Salomos, des Moses u. A.
Der antiken Sage, Mythe und Geschichte entnimmt er die Stoffe
zu zahlreichen Tragödien und Komödien: Paris, Klytämnestra, Odysseus
(bei Sachs Ulifses), Cyrus, Darius, Xerxes, Alexander d. Gr., Romulus
und Remus, Mucius Scaevola sind Helden von ihm verfaßter Dramen.
Ja, er hat selbst antike Dramen in deutschen Reimen erneuert, so den
Plutus des Aristophanes, die Menaechmen des Plautus, und seine Tra—