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II. Die F
Festtage
„Hölle, wodurch er manchen Vogel rupfe und den Schweiß des
Armen sich aneigne, mit dem Kardinal Hochmut und dem
Bischof Goldmund Wolfsmagen dem öffentlichen Spotte preis—
gegeben wurde, so ließ sich im Jahre 1523 auch in Nürnberg
ans der Mitte des Bürgerstandes, der sich der neuen Lehre
am bereitwilligsten zugewandt hatte, eine Stimme hören, welche
auf eine dem gemeinen Manne verständliche Weise die Sache
Luthers verfocht und empfahl und um so begieriger gehört
wurde, da sie ihre Belehrungen in ein poetisches Gewand
kleidete. Es war Hans Sachs, der in seiner:
Wittenbergisch Nachtigall,
Die man jest höret überall,
den Anbruch eines neuen Weltalters verkündigte und wie mit
Posaunentönen seine Zeitgenossen aus dem geistigen Schlafe,
in welchen pfäffischer Eigennutz und geistliche Herrschsucht sie
gewiegt hatten, weckte.
Wach auf, es nahent gen dem Tag!“*
Unter dem Bilde der Sonne, vor deren Glanz der
Schimmer des Mondes erbleicht, besingt er die neue Lehre.
Die Herde der Schafe hat sich, durch den falschen Glinster
des Mondes, die Menschenlehre, geblendet, von ihrem wahren
Hirten und ihrer rechten Weide abgewendet; der Löwe, der
Papst, droht sie zu verschlingen, Wölfe stellen ihr nach, und
Schlangen saugen ohn' Unterlaß an dem Marke der Schafe.
Jetzt aber, wo die Nachtigall so hell singt und der Glanz des
Tages sich ausbreitet, sind sie erwacht und erkennen den Löwen,
die Wölfe und ihre falsche Weide.
Vierhundert Jahre lang sei man von der evangelischen
Lehre Jesu Christi abgewichen und zum Löwen in die Wüste
geführt worden. Die Wüste sei das geistliche Regiment, die
Kirche mit ihren auf Menschensatzungen beruhenden Ein—
richtungen:“
* S. 188.