Volltext: Die neue Zeit

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Ein verklärter Ausdruck lag dann auf Josephines 
Antlitz und sie wurde nimmer müde, all die trauten 
Erinnerungen zurückzurufen. 
Anne saß schweigend dabei und mußte viel 
über die Mutter und deren Leben nachsinnen. Und 
sie kam zu der Erkenntnis von der stillen Größe 
der Gütigen und sah, wie das schmerzvolle Entsagen 
und Zurücktreten ihr Schicksal geworden war. 
Wenn die Mutter so erzählte von den ersten 
Jahren, da Vater ihr vorgelesen oder ihr Bücher 
gebracht und sie mit ihr durchgesprochen, dann suchte 
Anne nach den Gründen, die dieses traute, geistige 
Zusammenleben getrennt haben mochte. 
Und in der weichen Stimmung, in der sie war, 
kam ihr der Gedanke, daß sie und die Geschwister 
der Grund gewesen, da sie doch in früheren Jahren 
die Mutter so in Anspruch genommen hätten, daß 
ihr keine Zeit geblieben für das geistige Weiterleben 
und Arbeiten. 
Und als die Kinder groß waren? Anne erschrak. 
War sie da nicht an die Seite des Vaters getreten, 
an die Stelle, die der Mutter gehörte? Hatte sie 
nicht im blinden Egoismus die Mutter verdrängt? 
Anne wurde es bei dieser Erkenntnis plötzlich 
bang. Sie sprang auf — was saß sie wieder als 
dritte dabei, wenn Vater und Mutter ihre Herzens— 
zwiesprach hielten? 
Sie verließ rasch das Zimmer und eilte die 
Treppe hinab, als ob sie dem Egoismus entfliehen 
könnte, der ihr wieder als die treibende Feder in 
ihrem Leben erschien. Lange lief sie im Garten 
herum, sie fand keinen erlösenden Gedanken, keine 
Entschuldigung. Sie war geneigt, sich allein als 
schuldige Ursache von Mutters Vereinsamung anzu⸗
	        
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