Full text: Die neue Zeit

323 — 
Josephine begann wieder einmal die Leinen— 
schätze zu überblicken und mit den Hausweberinnen 
zu verhandeln; sie wußte, daß Karoliuͤe unvermögend 
war. Dies heimliche Vorsorgen beglückte sie fast 
mehr als das offene Strümpfchen- und Häubchen⸗ 
stricken. Ein ganz besonders seliges Geficht machte 
sie, als sie eines Tages unvermuliet ins Stadthaus 
eilte, die Wäschekammer aufschloß und von den 
fertigen Häubchen, Strümpfchen und Röckchen je 
ein Vierteldutzend nahm und vorsichtig in altes 
Leinen schlug und in einen großen Schrank weg— 
schloß, in dem schon manches Leinenstück lagg. 
Am nächsten Tag war sie noch einmal in die 
Stadt gegangen und in die Kammer, hatte den alten 
Schrank geöffnet und auf das weiße Paket einen 
Zettel geheftet. 
„Für meines Josephs ültesten“ stand darauf. 
Denn im Lauf des Tages war ihr plötzlich die 
Idee gekommen, daß sie vielleicht diese Freude gar 
nicht mehr erleben könnte. Da sollte doch Joseph 
auch finden, was die Mutterhände liebevoll gearbeitet 
und zur Seite gelegt hatten. 
Den Schlüssel zu diesem Schrank hütete sie 
ängstlich. Selbst Joseph ahnte nichts von der treuen 
Fürsorge der rührendsten Mutterliebe. 
So waren alle vier Rottmanns stille, aber frohe 
Menschen geworden. Jeder lebte seinen Pflichten, 
seinen Aufgaben, und der Friede, der jetzt im Hause 
herrschte, schien ein unzerstörbarer. 
Im alten Sankt Johanniser Garten wucherten 
wieder die Dahlien und hingen die Birnen- und 
21*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.