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galerie, von der eine Treppe zum Fluß hinab—
führte. Der Fluß war gefroren. Sie eilte über
die Eisdecke weg und erklomm eine schmale Stein—
treppe, die auf die Straße hinaufführie. Sie merkte
kaum, daß sie noch von einzelnen Silvesterfeiernden
angesprochen wurde. Sie hatte nur einen Gedanken
im Kopf. Sie eilte auf die Burg und klopfte an
das Tor des Vestnerturms.
Und als der Turmwart bei ihrem Anblick das
Tor zuschmettern wollte, drängte sie ihn mit ihrer
jungen Kraft zurück und trat ein.
„Laßt's gut sein, Großvater, ich bleib' nur
kurze Zeit bei Euch.“
Rose eilte über die Stiege in ihren alten
Winkel. Sie setzte fich an ein kleines Mauerfenster
und starrte in den Sternenhimmel hinaus. Und
während ihre Glieder zitterten vor Frost, brannten
ihre Wangen vor Hitze.
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*
Hellmut Haßner ging ruhelos in seiner Stube
auf und ab. Er überlegte die Gefahr, die ihm von
Rose drohte. Er dachte zum erstenmal tiefer über
Annes innerstes Wesen nach und mit Unruhe er—
füllte ihn, daß ihres Wesens Kern ihm noch
fremd war.
Er kannte ihren Witz, ihre Klugheit, er kannte
ihre heitere Laune und die schlummernde Liebes—
sehnsucht in ihr — das alles waren Eigenschaften,
aber nicht der Kern ihres Charakters. Er überlegte;
wenn Rose ihre Drohung wahr machen würde,
würde Anne ihr überhaupt zuhören, und wenn das,
wie würde sie sich dazu stellen?
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