Full text: Eine anonyme deutsche Gottesdienstordnung aus der Reformationszeit

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gewiß etwas richtiges darin, wollte man sagen, der Mensch solle sich auch bei dieser Feier als 
Glied eines christlichen Volkes fühlen und nicht bloß an das denken, was ihm selbst und seiner 
allernächsten Umgebung zugefallen ist, sondern ein Herz haben auch für den Ausfall der Ernte 
in den andern Gegenden seines Heimatlandes. Aber trotzdem bleibt es dabei: ein allgemeiner 
neutraler CText wird eben weder dem einen, noch dem andern wirklich aus der Seele gesprochen, 
wird weder hier noch dort der treffende Ausdruck einer vorhandenen Stimmung sein. Diesem 
Übelstande würde dadurch sehr einfach abgeholfen, wenn, wie übrigens auch in andern Landes— 
kirchen geschieht, mehrere Texte nebeneinander zur Auswahl geboten würden. Unser, von 25 
Geistlichen unterzeichneter Antrag an die Allgemeine Pastoralkonferenz lautet demnach also: 
„Das hochwürdige Direktorium wolle in Zukunft von der Anordnung eines in allen Gemeinden 
der Kirche A. C. in Elsaß Lothringen an demselben Sonntag zu feiernden Ernte- und Herbst— 
dankefestes absehen und dafür den Presbyterien resp. Konsistorien anheimgeben, je nach den 
örtlichen Verhältnissen den Termin dieses Festes zu bestimmen. — Das Direktorium wolle 
ferner statt des vorgeschriebenen Ernte- und Herbstfest-Textes jedes Jahr eine Auswahl von 
Texten verschiedenen Charakters darbieten resp. den Pfarrern die Wahl des Tertes vollständig 
überlassen.“ — —. Die Majorität der Konferenz erklärte sich gegen den Antrag, doch wohl 
nicht bloß aus Liebhaberei für das Althergebrachte. Eindrucksvoll war, was namentlich von 
Pfr. lic. Gerold gegen die Feier des Festes an verschiedenen, von den Presbyterien zu be— 
stimmenden Tagen bemerkt wurde. In dieser Hinsicht hat man die an sich so wohl begründete 
Frage mit bedenklichen Momenten verquickt. Dagegen machte es den Eindruck einer ge— 
wissen ÄAngstlichkeit, wenn man von Seiten der Antragsteller bestritt, daß die Frage irgendwie 
mit der nach dem vielerseits als katholisch verschrieenen Totenfeste im Zusammenhange 
stehe. Pfr. D. Hackenschmidt stellte sich auf den Standpunkt, daß gerade das Bedürfnis nach 
dem Totenfeste ihn veranlassen würde, das Erntefest in den Oktober zu verlegen. Und von 
anderer Seite wurde mir versichert, in 10ð–515 Jahren werde das Totenfest im Reichslande 
die weiteste Verbreitung gefunden haben trotz allem, was man jetzt noch dagegen bemerke; 
dann werde auch die Frage nach dem Termin des Erntefestes ihrer Lösung näher gebracht 
sein. Bei solcher Sachlage kann man nur damit zufrieden sein, daß die Frage nicht jetzt schon 
eine voreilige Lösung gefunden. Wir Elsässer wären sehr dankbar, wenn die Leser der 
M.Schr. aus der Praxis ihrer Landeskirchen uns den Weg zeigen könnten, auf dem wir der 
vorliegenden Schwierigkeiten ledig würden. Sp. 
Eine eigentümliche Verbindung liturgischer Bestrebungen mit solchen der Inneren Mission 
tritt in den Posaunen-Vereinen zu Cage, deren Heimat das Ravensberger Land ist. Der 
erste christliche Posaunenchor wurde 1843 von Pastor H. Volkening in Jöllenbeck begründet. 
Von der seitherigen Entwickelung dieser Vereinigungen sollte am 18. Juni in Bielefeld das 
deutsche Kaiserpaar einen imposanten Eindruck empfangen. Die Bläser des Ravensberger 
Landes, vereinigt mit denen benachbarter Striche und des Wupperthales, 2000 an der Zahl, 
verstärkt durch mehr als 10 ooo Sänger und Sängerinnen aus den Jünglings- und Jungfrauen— 
vereinen der nämlichen Bezirke, durften an dem, für die preußische Geschichte in mehrfacher 
Hinsicht denkwürdigen Tage eine „Kaiserhuldigung“ darbieten. Das uns vorliegende sehr 
reichhaltige Prograämm enthält einen Begrüßungsakt, eine KRinderparade und das mit der 
Jahresfeier von „Bethel“ verbundene Posaunenfest. Wie man erwarten konnte, durchdrangen 
sich in jedem diefer Akte christlich-kirchliche und patriotisch-kriegerische Gedanken, so daß einer— 
seits die Wahl der verwendeten Kirchenlieder durchweg nach Maßgabe von Hohenzollern— 
Erinnerungen getroffen wurde, andererseits aber die Nationalhymnen von Preußen und 
Schleswig-Holstein je eine religiös gefärbte Zusatzstrophe erhalten haben. In der dritten, 
gottesdienstlich gedachten Vereinigung, wurde inmitten von Sunem, Bersaba, Sarepta und 
Bethel, unter freiem Himmel nach dem Schema „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn ) im 
Reich der Natur, 2) im Reich der Gnade, 3) im Reich der Herrlichkeit“ verfahren. Dem ent— 
sprechend fanden, umrahmt von Gebeten, drei Ansprachen statt, und dreimal traten Bläser, 
Sänger, Sängerinnen und Volk hintereinander in Thätigkeit, P. Gerhardts „Geh aus, mein 
herz“ und andere Lieder in ausgewählten Strophen unter sich verteilend. (Das „Keich der 
Vatur“ ward dabei leider durch die zweite Strophe von „Schönster Herr Jesu“ sofort degradiert.) 
Eine vierte Rede war dem Begruͤnder der Bielefelder Anstalten, Pastor v. Bodelschwingh, 
vorbehalten. — Es liegt uns fern, an Unternehmungen einen künstlerischen Maßstab zu legen, 
deren Träger und Förderer den Anspruch von Kunstleistungen kaum erheben werden. Immerhin 
wäre es wünschenswert, wenn die Oberleitung der Bläser- und Sängerchöre das Interesse an 
monströsen Massenwirkungen nicht allzu sehr zum herrschenden machte. Crescendo⸗Effekte so 
äußerlicher Art, wie sie im Programm mehrfach auftreten, hervorgerufen durch ein staffel⸗ 
mäßiges Hinzutreten der einzelnen Bläserchöre von Zeile zu Zeile, sind nicht geeignet, den 
Wortsinn und die Gedanken einer Liedstrophe deutlicher zu machen oder zum Nachdenken über 
sie anzuregen. Man überlege sich einmal folgende Anordnung: 
„Lübbecke: Nun lob, mein Seel, den Herren; 
u Minden: Was in mir ist, den Namen Sein.
	        
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