I. KAPITEL.
Wege und Umwege bisheriger Auslegung.
Auf dem Höhepunkte seiner künstlerischen Schaffenskraft
und im Mittelpunkte der. reichen Stecherthätigkeit der Jahre
1509—1515 schuf Albrecht Dürer im Jahre 1513 den Kupfer-
stich Ritter Tod und Teufel (Bartsch 98), im darauffolgenden
Jahre die beiden in den Maassen mit diesem fast genau überein-
stimmenden Blätter Melancholie (B. 74) und Hieronymus im Ge-
häus (B. 60). Oft sind sie beschrieben und in zahllosen Nach-
bildungen in den letzten Jahrzehnten verbreitet worden. Man kann
wohl mit Sicherheit behaupten, dass sie die bekanntesten Blätter
aus Dürers ganzem Werke sind, vielleicht die einzigen, die wirklich
in’s deutsche Haus der Gegenwart eingedrungen sind. Denn im
allgemeinen ist doch recht wenig von Dürerischer Kunst im
deutschen Wohnhause zu finden. Bei unserer auf's Formale ge-
richteten Erziehung musste der herbe deutsche Meister naturgemäss
im Kampfe mit der Antike und der italienischen Renaissance bisher
den Kürzeren ziehen. Doch stehen wir, wenn nicht alles täuscht,
auch hier zur Zeit vor einem Wendepunkte des Geschmackes.
Die Beigabe von Nachbildungen der drei Stiche erschien
schon mit Rücksicht auf die Bequemlichkeit des Vergleichens
beim Lesen und die Mangelhaftigkeit vieler der jetzt verbreiteten
Nachbildungen unumgänglich. Die unsrigen sind gefertigt nach
den vorzüglichen Facsimile-Reproductionen der Reichsdruckerei.
Eine Verkleinerung des Massstabes um ein Drittel war leider
nicht zu umgehen. Die volle künstlerische Würdigung ist ohnehin
nur bei einem Verfahren möglich, wie es die Reichsdruckerei für
ihre Reproductionen anwendet. (Der Reiter ist als Titelblatt dieser