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ansern ursprünglichsten Nationaldichter“ erklärt. In der späteren
Zeit des sogenannten bürgerlichen Abschnittes der deutschen Dichtung
sei Hans Sachs „unstreitig der geistvollste, reichste und originellste
Dichter der ganzen Classe“ gewesen. Den Meistergesang faßt Schlegel
als eine ziemlich harmlose Beschäftigung der bürgerlichen Kreise
auf. Man müsse bei einzelnen, wie z. B. bei Hans Sachs, die Lei-
stungen als Dichter von der Tätigkeit in der Meistersängerschule
;rennen. Seine Poesie und die geistesverwandter Dichter sei „aus
zanz andern Quellen genährt“. Der Vergleich Hans Sachsens mit
Dürer fällt zu Gunsten des letzteren aus, doch sei im Kostüm eine
gewisse Ähnlichkeit vorhanden. Schlegel vermißt in der Poesie Hans
Sachsens das Musikalische, das Reimen habe sich bei ihm zu ein-
tönig mechanisch vollzogen. Seine Gedichte seien „sämtlich in der
That nur Capitel eines einzigen Buchs: seines gesunden, nüchternen,
emsigen, besonnenen und heitern Lebens.“ Fremd sei ihm die Kunst
des Verschweigens, in seinem Tintenfaß — die Tintenfässer waren
damals groß — sei nichts zurückgeblieben. Sein Wissen ging auf
Belehrung aus. „Erfahrung war die Mutter seiner Poesie, und Ver-
ständigkeit seine. Muse, selbst sein Scherz hat durchaus diese
Richtung.“ „Seine Caricaturschilderungen der Thorheiten und Laster
werden durch ihre unübertreffliche Vollständigkeit gleichsam sym-
volisch und für immer gültig“. Zu den vorzüglichsten Stücken ge-
nören die allegorischen, zwar etwas derb, aber ergötzlich seien die
Fastnachtsspiele, seine Sprache sei eine Fundgrube an Altertüm-
lichkeit. Schlegel gedenkt dann der Wiedererweckung des Andenkens
an Hans Sachs und der „Hans- Sachsischen Weise“ durch Goethe.
Freilich sei Deutschland „seitdem mit schlechten Hans - Sachsisch
seyn sollenden Versen überschwemmt worden, von Autoren die keine
Zeile vom Hans Sachs gelesen haben.“1! Das blinde Darauflosreimen
nach einem Muster, das man in Wirklichkeit gar nicht kannte, gedieh
also üppig weiter. In den Vorlesungen über dramatische Kunst
und Literatur, die A, W. Schlegel im Frühling 1808 in Wien hielt,
hat er zwar im selben Sinne wie in den zu Berlin gehaltenen Vor-
lesungen, doch nur sehr knapp zu Hans Sachs Stellung genommen.
Bei der Erwähnung von Goethes „Triumph der Empfindsamkeit“
weist er darauf hin, daß sich Goethe weit früher „in einigen
ı Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19 Jhdts. 19, S. 25. 53—60.