Full text: Veit Stoß und seine Schule in Deutschland, Polen und Ungarn

aber in allen seinen Teilen gut erhalten. 1477 war er begonnen, 
in sieben Jahren zum grössten Teil vollendet und 1489 im Chor 
der Marienkirche aufgestellt worden.**) Ausser der durch Lepszy 
adierten Vertrags-Urkunde??) ist er durch Stoss’ Meisterzeichen 
<& auf dem Sarkophag des Grablegungsreliefs am rechten 
Aussenflügel beglaubigt. 
Der Anblick des geöffneten Altars macht einen berauschen- 
den Eindruck. In der mächtigen Wirkung übertrifft er wohl 
alle Altäre deutscher Schnitzkunst, selbst das grosse Jugendwerk 
Riemenschneiders, den Creglinger Altar, dem er nur in der 
poetischen Zartheit der Schilderung der Marienlegende nach- 
steht. Trotzdem aber treten gleich bei diesem ersten Werke 
des ausgereiften Stiles nebeneinander alle Vorzüge und alle 
Schwächen des Meisters deutlich hervor. (Fig. 2.) Allzu nach- 
drücklich hat Stoss in den überlebensgrossen Apostelfiguren des 
Mittelschreines, die in ihren gewundenen Stellungen mit Barock- 
üiguren wetteifern, auf dekorative Wirkung gearbeitet, die aller- 
dings kein spätgotischer Meister erreicht hat, Auch kaum ver- 
ständlich ist es für uns, wenn Thorwaldsen, der als Plastiker 
nellenischer als alle seine Zeitgenossen fühlte und eine den Par- 
thenonfiguren eigene ruhige Klarheit in der Gewandbehandlung 
erreichte, an dem Werke den leichten Faltenwurf lobte. Der 
reich gebauschten Gewandung der Apostel mit ihrer unmotivierten 
Faltengebung, die Thorwaldsens hellenischer Gewandbehandlung 
widerspricht, mangelt gerade die einfache Linienführung. An- 
dererseits aber dürfen wir nicht vergessen, dass die Vorliebe für 
das Überladene dicker Wollenstoffe und die knitterige Fältelung 
zestreifter Linnen im Geschmacke der damaligen Modetracht lag. 
Mit erstaunlicher Sicherheit legt Stoss bei der Durchbildung von 
Köpfen, Füssen und Händen seine anatomischen Kenntnisse dar, 
aber dennoch vermag er die erschreckend naturalistischen Figuren 
zu keiner eng zusammenhängenden Komposition zu vereinen oder 
ein zum Herzen sprechendes Gefühl zum Ausdruck zu bringen. 
Mehr oder weniger geschickt sind die fertigen Figuren in den 
22) Die Kosten beliefen sich auf 2802 fl., die durch kleine Beiträge zusammen- 
zebracht waren. 
?*8) Lepszy, Sprawozdania komisvi do badania historvi sztuki w Polsce, B. V, 
2. 06/97.
	        
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