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Spätgotiker Stoss kein Verständnis hatte“*°) und deren Nach-
ahmung nur durch die in Krakau eingewanderte italienische Bild-
hauerschule erklärlich ist. Freilich wurde auch in Nürnberg, wie
die Krakauer Grabplatten beweisen, von Vischer um 1505 im neuen
Renaissancegeschmack mit erstaunlicher Meisterschaft gearbeitet,
doch ist es nicht angängig, den Altar sich in Nürnberg gearbeitet
zu denken, denn dem widerspricht der durchaus polnische
Charakter der Figuren, die bei Veit in solch hohem Masse den
Stempel ihrer slavischen Nationalität denn doch nicht an sich
tragen. Auch sonst steht vieles trotz äusserlicher Ähnlichkeit mit
Stoss im Gegensatz zur Kunst dieses Meisters. Der rücksichtslose
Realismus, die hastigen Bewegungen, die die Gewänder wie vom
Wind erfasst scheinen lassen (Fig. 73) und die Handhaltungen sind
zwar von Stoss her bekannt.?!!) (Fig. 72.) Dennoch aber ist Stoss
selber der Meister auf keinen Fall; vielmehr ist die Hand eines
Schnitzers deutlich zu erkennen, der in der Stoss-Schule ausgebildet
ist und die übrigen Gehilfen übertrifft. Auch eine Meisterhand hat
den Altar gewiss geschaffen, im Ganzen jedoch ist die künstlerische
Qualität geringer als bei Stoss. Dieser arbeitete mit anatomischer
Richtigkeit die Adern und Hautfalten aus dem Holze heraus; hier
sind die nackten Teile flüchtiger und glätter behandelt, Breite
Füsse mit grossen Zehen haben die Figuren, deren breite gedunsene
Gesichter meist vulgäre Formen zeigen (Fig. 72) und im Gegen-
satz zur knochigen Magerkeit der Typen des Veit Stoss stehen.
[hr Hals ist kurz, das Kopfhaar durch grosse Partien schema-
tisch behandelt und: wie eine feste Perückenmasse aussehend.
Die Bildung der ausdruckslosen Hände, die verhältnismässig
kurz und ohne Details gelassen sind, stehen denen bei Stoss,
der gerade in der Durchbildung langfingriger, frei bewegter
Hände eine Virtuosität besass, besonders nach. Und wenn auch
in den Figuren des Stanislausaltars das polnische Temperament
lebt, so fehlt den meisten doch das eigentlich pulsierende
Leben und die Unmittelbarkeit der Bewegung. Nur wenige
nehmen an der dramatischen Handlung teil, wie teilnahmlose Zu-
240) Vgl. Daun, eine unbeachtete Arbeit des Veit Stoss (Jahrb. der K. Pr.
Kunstsamml. B. XXI Heft III p. 190.)
241) Vgl. die neben dem Könige stehende Figur auf dem Relief, wo Pietrowin
vor den König tritt. (Fig. 72.)