Einleitung
Umfang des Stoffes, an Mannigfaltigkeit der Erfindungen und
Formen, an sittlicher Tiefe und glücklicher Gestaltung. Alles,
das die Dichtung der Zeit auszeichnet, findet sich bei ihm ge—
reinigter und gekäuterter wieder; keine Form war ihm wider—
spenstig; kaum irgend ein Gegenstand, der dem Wissen jener Zeit
gehörte, war ihm fremd; er beherrschte Geschichte und Sage mit
gleicher Meisterschaft und Sicherheit; seine Betrachtungen und Be⸗
obachtungen sind immer glücklich und anschaulich eingekleidet; durch
die mißlichsten Verhältnisse weiß er seine Erfindungen, namentlich
die aus dem Leben seiner Zeit, mit leichter Wendung zu reinen
und beruhigenden Ausblicken zu führen. Mit vollem Rechte durfte
er, der die volle Derbheit seiner Zeit unbefangen abschilderte, von
seinen Gedichten rühmen, daß alles, was Sitte und Zucht zu—
widerlaufe, ausgeschlossen sei; was bei ihm steht, war den guten
Sitten jener Zeit gemäß, was bei den ältern Nürnbergern ver—
letzt, war nur den Sitten der Zeit nicht entgegen. Es ist nicht
erforderlich, die Kunst des Dichters zu rechtfertigen, namentlich
nicht gegen die, welche sie nach heutigem Geschmack verurteilen
oder mil der Shakespeares vergleichen. Seine Schwänke sind von
keinem Dichter der Welt übertroffen; seine Fastnachtsspiele sind so
vollkommen den besten unter den guten kleinen Spielen alter und
neuer Zeit in Erfindung, dramatischer Gestaltung, Verwickelung
und Angemessenheit der Sprache ebenbürtig, daß jeder, der sie
gelesen und verstanden hat, immer wieder lieber zu ihnen als zu
fremden zurückkehrt. Seine größeren Schauspiele, von denen er
diejenigen, in denen gekämpft wurde, nach dem Sprachgebrauch
der Zeit Tragödien, die übrigen Komödien nannte, sind in dem
epischen Stile wie die Schauspiele der Zeit überhaupt gedichtet
und machen keinen andern Anspruch als den, die Stoffe in
Handlung vor den Augen der Zuschauer zu verwandeln. An
Austiefung der Charaktere, Verwickelung und gar an Lösung von
Problemen dachte weder die Zeit des Dichters noch er selbst.
Deshalb war Hans Sachs so überaus fruchtbar; er rang nicht
jahrelang mit seinen Stoffen, schrieb sie vielmehr mit klarer
Leichtigkeit hin, wie sie ihm rasch aufgegangen waren. Im
Studium des Hans Sachs und der Verhältnisse, unter denen
seine dramatischen Dichtungen durch Deutschland vom Volke auf—
geführt wurden, könnte die Gegenwart lernen, was kein Studium
fremder Kunstpoesie sie lehrt: die Ausfüllung der Kluft zwischen
Dichter und Volk.“
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