fullscreen: Hans Sachs

343 
Hans Sachs 
Regenbogen weichen schon sehr stark in Form und Inhalt 
ihrer Dichtungen von den gefeiertsten Meistern des Minnesangs ab, 
und ihre geistigen Söhne, die Meistersinger, besitzen von den Vor— 
zügen derselben nur verschwindend wenige mehr. 
Vor allem hatten die Meistersinger fast durchweg selbst von 
dem wahren Ursprunge der Poesie falsche Begriffe: „Wie in 
den Lüften der Sturmwind saust, man weiß. nicht, von wannen er 
kommt und braust; wie der Quell aus verborgenen Tiefen, — 
so des Sängers Lied aus dem Innern schallt,“ charakterisiert 
Schiller sehr schön das wahre Wesen der Dichtung, und Goethe 
spricht sich ähnlich aus in den Versen: „Ich singe, wie der Vogel 
singt, der in den Zweigen wohnet.“ 
An dieser Auslegung des Dichtungsursprungs ist aber nicht im 
zeringsten zu deuteln und zu mäkeln: die wahre Poesie quillt aus dem 
Herzen, frisch und unmittelbar, sie stellt das selbsteigen Empfundene in 
edler Form dar, sie giebt ein Bild von den innersten Gedanken und Ge— 
fühlen des dichtenden Individuums. Aus diesem unanfechtbaren Wesen 
der Dichtung sprießt denn auch ihr mächtiger Einfluß auf das mensch— 
liche Gemüt hervor, aus diesem Grunde erweckt sie „der dunklen 
Gefühle Gewalt, die im Herzen wunderbar schliefen.“ Jede anderswo 
hergeholte Poesie spricht nicht an, läßt kalt. Nur was unmittelbar 
aus dem Herzen kommt, strömt auch wieder zu anderen Herzen über. 
Dieses Grundprinzip der echten Dichtung verkannten aber, 
wie gesagt, die Meistersänger vielfach; nicht daß sie in Abrede 
stellten, daß der Inhalt der Poesie wohl durchempfunden sein müsse. 
Allein sie erklärten' die Dichtung lehr- und lernbar, über— 
sahen also das Gottesgnadentum des wahren Dichters. Ein jeder 
konnte sich nach den Begriffen der Meistersinger in den Singschulen 
zum Dichter heranbilden, konnte die Poesie erlernen, d. h. mit 
anderen Worten, auch mit fremden Ideen, mit Empfindungen, die 
uns von außen zugetragen werden, kann man dichten. 
Die Meistersinger verwechselten also den tieferen Gehalt der 
Poesie mit der Poetik, mit der Lehre von den Dichtungsmitteln. 
Wer sich bei ihnen die Tabulatur, die Regeln, die ihre Schulen 
über die Poesie lehrte, angeeignet hatte und dieselben formlich zu 
handhaben verstand, war ein perfekter Poet. So kam es, daß 
sehr viele Unberufene zu dem Meistersingertum sich herandrängten, 
und daß auch manche Dichtungen der bessern und bedeutenderen 
Männer jener Zeit saft- und kraftlos sind: dieselben entraten eben 
des ureigensten Reizes der wahren Poesie, ihres Schmelzes, ihres 
Jil 
Urd 
ßyr 
P 
M 
an 
NMo 
) 
11 
9 
s“qe 
I 
J 
n 
AAI 
Ic 
G 
—
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.