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Hans Sachs
Regenbogen weichen schon sehr stark in Form und Inhalt
ihrer Dichtungen von den gefeiertsten Meistern des Minnesangs ab,
und ihre geistigen Söhne, die Meistersinger, besitzen von den Vor—
zügen derselben nur verschwindend wenige mehr.
Vor allem hatten die Meistersinger fast durchweg selbst von
dem wahren Ursprunge der Poesie falsche Begriffe: „Wie in
den Lüften der Sturmwind saust, man weiß. nicht, von wannen er
kommt und braust; wie der Quell aus verborgenen Tiefen, —
so des Sängers Lied aus dem Innern schallt,“ charakterisiert
Schiller sehr schön das wahre Wesen der Dichtung, und Goethe
spricht sich ähnlich aus in den Versen: „Ich singe, wie der Vogel
singt, der in den Zweigen wohnet.“
An dieser Auslegung des Dichtungsursprungs ist aber nicht im
zeringsten zu deuteln und zu mäkeln: die wahre Poesie quillt aus dem
Herzen, frisch und unmittelbar, sie stellt das selbsteigen Empfundene in
edler Form dar, sie giebt ein Bild von den innersten Gedanken und Ge—
fühlen des dichtenden Individuums. Aus diesem unanfechtbaren Wesen
der Dichtung sprießt denn auch ihr mächtiger Einfluß auf das mensch—
liche Gemüt hervor, aus diesem Grunde erweckt sie „der dunklen
Gefühle Gewalt, die im Herzen wunderbar schliefen.“ Jede anderswo
hergeholte Poesie spricht nicht an, läßt kalt. Nur was unmittelbar
aus dem Herzen kommt, strömt auch wieder zu anderen Herzen über.
Dieses Grundprinzip der echten Dichtung verkannten aber,
wie gesagt, die Meistersänger vielfach; nicht daß sie in Abrede
stellten, daß der Inhalt der Poesie wohl durchempfunden sein müsse.
Allein sie erklärten' die Dichtung lehr- und lernbar, über—
sahen also das Gottesgnadentum des wahren Dichters. Ein jeder
konnte sich nach den Begriffen der Meistersinger in den Singschulen
zum Dichter heranbilden, konnte die Poesie erlernen, d. h. mit
anderen Worten, auch mit fremden Ideen, mit Empfindungen, die
uns von außen zugetragen werden, kann man dichten.
Die Meistersinger verwechselten also den tieferen Gehalt der
Poesie mit der Poetik, mit der Lehre von den Dichtungsmitteln.
Wer sich bei ihnen die Tabulatur, die Regeln, die ihre Schulen
über die Poesie lehrte, angeeignet hatte und dieselben formlich zu
handhaben verstand, war ein perfekter Poet. So kam es, daß
sehr viele Unberufene zu dem Meistersingertum sich herandrängten,
und daß auch manche Dichtungen der bessern und bedeutenderen
Männer jener Zeit saft- und kraftlos sind: dieselben entraten eben
des ureigensten Reizes der wahren Poesie, ihres Schmelzes, ihres
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