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30. Der Prediger aus dem Sarge.
Das ift der felige Sohann Sottfried Schöner, mein
lieber geiftlicher Vater und theurer Freund.
Su St. Annaberg im fächfifchen Erzgebirge {ft eS einmal
gefchehen, daß ein Pfarrer Einem eine Begräbnifrede hielt, der
mehrere Jahre vorher geftorben war, ehe der Prediger geboren
worden. Denn der Mann, der begraben wurde , war ein Berg=
mann, ber vor vielen Jahren in einem Bergfhacht, dem häufige
Fiefige Gruben-Waffer zufebten, verunglückte und deffen Leichnam
erft jebßt zu Tage gefördert wurde. Über bier in Nürnberg if
e$ am 18, SIuli 1818 gefchehen, daß ein neunundfechSztaj äh:
tiger Sreis, dem man im Sarge nach St. Sohannis hinausge=
fragen, ehe nun fein lieber Staub ins Grab gefentt worden,
fich noch felbft die Leichenrede gehalten.
Er hatte nämlich, um noch ein recht eindringendes Wort
in das Herz feiner lieben Zuhörer und BeichtFinder zu reden,
fange vorher, ehe er farb, feine Leicherede, die einer feiner Amts:
brüder dann ablefen follte, aufgefebßt, und der Inhalt war:
„Die Bergebung der Sünden die erfte und un:
entbehrlich fte Troftquelle“ und der Leichentert: „Sedenke,
Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Süte, die von der
Welt her gewefen ift. Gedenke nicht der Sünden meiner Suz
gend und meiner Uebertretung; gedenke aber meiner nach deiner
Barmbherzigfeit, um deiner Güte willen.“ Pf. 25, VB. 6—7.
D lKeber Lefer! gebe uns Sott auch, baß wir diefe erfte
und unentbehrlichfte Troftquelle, „die,“ wie der felige Schöner
fagt, „jeßt an meinem Sarge, dem Sarge eines der gewefenen
allergeringften Knechte Sottes_ zu einem tiefen Eindruck und
einer bleibenden Frucht, durch feinen Beiftand befchrieben werden
fol,“ nämlich die rechte Vergebung der Sünden, aus eigner le:
bendiger Erfahrung Fennen Lernen.
Zum Ende feiner felbft gemachten Leichenrede fagt er:
„Sott, mein Heiland, du ewviger unausfprechlicher Erbarz
mer! fbue zu fo unendlichen Gnadenerweifungen, die ich von
SIugend auf erfahren. habe, auch noch diefe, daß du meine Leb=