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Sehntes Kapitel.
der frischen, reinen Luft, welche hier im Schatten der alten
Eichen und Buchen wehte. —
Frau Agnes trat zu ihrem Gemahl in die Werkstatt.
„Möchten wir nicht nach des Tages Last und Hitze selbander
ein wenig lustwandeln, herzliebster Albrecht?“ fragte sie noch
auf der Schwelle.
„Gern wäre ich dir zu Willen, meine Agnes“, erwiderte
Dürer, indem er die Hand mit dem Pinsel sinken ließ. „Auch
mich verlanget aus der dicken, schweren Luft hinaus, doch
bannet mich die Pflicht an die Staffelei. Siehe, wie viel an
diesem Bildwerk noch zu schaffen übrig, und nach sechs Tagen
schon kommt, der mir's aufgetragen. Was hat es mir gefrommt,
daß ich jedweden Morgen mit der Sonne aufstand und erst um
Mitternacht das Lager suchte? Der Aufträge werden immer
mehr, und ich vermag es allein nicht mehr hinauszuführen,
wenn meine Kraft nicht vor der Zeit erlahmen soll.“
Frau Agnes trat auf den Gemahl zu und legte ihm die
Hand auf die Schulter. „Solche deine Rede ist mir wohlge—
fällig zu hören. Siehe, nun lenkest du selbst in meine Meinung
ein. Habe ich dich nicht je und je vermahnet und gebeten, du
sollest, dem Exempel deines Lehrmeisters Wolgemut folgend, dir
Gehilfen nehmen, welche dir zur Seite stehen und dich in den
Stand setzen, alle die Anforderungen zu erfüllen, so an dich
gestellet werden? Du hast für solche meine Rede nimmer ein
Ohr gehabt, so bin ich nun fröhlich, daß sich dein Sinn ge—
wendet.“
„Ungern füge ich mich der Notwendigkeit“, erwiderte Dürer,
„denn meine Seele sträubet sich, die Kunst zu erniedrigen, wie
man es bisher gepfleget. Gern machte ich alles, so man von
mir heischet, mit eigner Hand. Bei Meister Wolgemut habe
ich's mit Augen gesehen, wie die Gesellen, so mit dem Meister