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Sswoͤlftes Kapitel.
gemut gelernet, die Kunst des Holzschnitts und des Kupferstichs,
pflege es und wuchere damit zum Segen für das Volk! Siehe,
das ist die Kunst für alle: die gestochene Kunst und noch mehr
die gedruckte kann auch der Ärmste auf dem Markte kaufen, und
diese Kunst, die bis anher des Papstes Bannstrahl verschonet,
wird sie nicht eine Predigerin in der Wüste sein?“
Der Sprecher schwieg und sah den Freund erwartungsvoll
an. Der stand in großer Erregung auf und schritt mehrere
Male in der Kammer auf und nieder, dann machte er vor
Dürer Halt und ergriff dessen Arm. „Albrecht, der Gedanke
ist von Gott! Ja, seid Ihr die Stimme des Wüstenpredigers,
mit Eurer gedruckten Kunst redet zu dem Volk, und das Volk
wird Euch hören, wird Euch verstehen, wird Euch danken! Und
siehe, ich ahne jetzund“, — er blickte dabei nach der Mappe —
„Eurem Gedanken ist allbereits die That gefolgt, Ihr habet mit
dieser Predigt schon begonnen.“
„Eure Ahnung trügt Euch nicht“, versetzte Dürer lächelnd.
„Was ich seit zweien Jahren still geschaffen, hier diese Mappe
birgt's in sich. Es ist die Offenbarung Johannis, so mir zu
meinen Bildern Anlaß und Stoff gegeben.“
Pirkheimer reckte den Kopf, und seine Mienen verrieten ein
jähes Befremden. „Die Offenbarung Johannis? Es ist doch
nicht etwa ein neuer Papstesel“), wie Meister Wolgemut ihn
) Das war ein kleiner Kupferstich mit der Aufschrift: Roma
oaput mundi (Rom das Haupt der Welt). Im Hintergrund erblickt man
die Engelsburg und den Tiberfluß, in der Mitte aber steht ein weibliches
Ungeheuer, dessen einer Fuß ein Bockshuf, der andere eine Geierkralle
ist und dessen rechter Arm in eine Katzenpfote ausläuft. Am Hinterteil
sitzt ein Schweif, an dessen Ende ein Drachenkopf züngelt, und über den
Schultern erhebt sich ein Eselskopf. Das Volk erriet den Sinn des Bil—
des sofort und nannte es den Paopstesel.