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ab, die schon seit dem 16. Jahrhundert verfallen und
teils in Übertreibungen und künstliche Spielereien, teils in
feinere oder derbere Zweideutigkeiten ausgeartet war. Durch
den Regelzwang, die vorgeschriebene Ehrbarkeit des Inhalts
und die von den Merkern aufs peinlichste geübte Prũüfung
geschah es, daß die erst allzu frei gewordene Sangeskunst nun
bald gar zu stark geknebelt wurde, weil man sie gleich den
Handwerken zunftmäßig betrieb und durch diese geschäfts—
mäßige Behandlung auf dieselbe Höhe mit ihnen hinab—
drückte.
Wer tagsüber als Gerber, Schneider, Spengler oder
Kandelmacher seinem Berufe wacker und ehrsam nach⸗
gegangen war, fühlte sich abends zum Dichter entzückt,
nippte abwechselnd am Schoppen Bier und am kastalischen
Quell und suchte künstliche Gesänge in neuen Tönen
zu erfinden oder in alten nachzubilden. In der Kirche
oder auf dem Rathause wurde dann kommenden Sonn—
tags die „Schule gehalten“. Die Singer lasen unter
musikalischer Begleitung ihre „sehr herrliche und künst—
liche Gedicht“ dem Vorstand vor, wobei die Merker hoch⸗
notpeinliche Kritik übten und die Verfehlungen gewissen—
haft buchten. Zweiunddreißig Regeln mußten strengstens
beobachtet werden; ein Regelkram, der sich freilich fast
nur auf äußerliche Form erstreckte. Neben dem zur Be—
dingung gemachten ehrbaren und sittsamen oder lehr—
haften und artigen Inhalt, der dadurch natürlich oft
zur Cangweiligkeit wurde, mußte allgemeine Verständlich—
keit vorherrschen, die oft eine nüchterne Trockenheit her⸗
vorrief. Sodann kam es auf den Ton, das heißt die
Singweise an, ferner war Wort- und Silbenzahl zu be—
rücksichtigen, und schließlich machte der Reim das wesent⸗
lichste aus. Klappten namentlich die Reime recht schön
und ohrenfällig, so hatte man ohne Zweifel ein treff—