Volltext: Alt-Nürnberg

200 
An der von Kaiser Karl 1V. gegründeten Prager Unibversität, 
welche allmählich einen so gewaltigen Aufschwung genommen hatte, 
daß man am Anfang des 15. Jahrhunderts (natürlich übertrieben) 
30000 Studierende und 200 Doktoren zählte, hatten die kirchen— 
reformatorischen Lehren des Orforder Professors Wycliffe Eingang 
und in dem Prager Doktor Joh. Hus einen begeisterten Apostel 
zefunden. Verschiedene andere volkstümliche Prediger, welche auf die 
Gebrechen der Kirche hinwiesen, hatten schon länger auch die Gemüter 
des tschechischen Volkes zur Aufnahme jener Lehren bereitet. Zu 
dieser immer weitere Kreise ziehenden religiösen Bewequng gesellte sich 
hald eine nationale. 
Nach dem Vorbild der Pariser Universität hatte Karl IV. seine 
Hochschule in vier Fakultäten und vier Nationen (die böhmische, 
bayerische, polnische, sächsische) eingeteilt. Aber während in Paris 
die französische Nation drei Stimmen hatte und die Gesamtheit der 
Fremden nur eine, war auf der böhmischen Universität das Verhältnis 
umgekehrt. Zudem bestand die polnische Nation auch größtenteils 
aus Deutschen, aus Schlesiern, Thüringern u. s. w., sodaß die Fremden, 
d. h. die Deutschen, ein großes Übergewicht hatten, welches sie bei 
Besetzung der akademischen Würden, bei der Verteilung der Pfründen 
u. dergl. zum Nachteil und zum Unwillen der Tschechen mehr als 
billig ausbeuteten. Den immer heftiger werdenden Unwillen der 
Tschechen benützten Hus und seine Freunde, um bei Wenzel (1409) 
ein Dekret auszuwirken, daß künftig bei allen Akten und Abstimmungen 
die böhmische Nation drei Stimmen, die Fremden aber nur eine 
haben sollten. Durch diese Maßregel wurden die Deutschen derart 
erbittert, daß sie in Masse, man zählte 20000 Magister und Studenten, 
Prag verließen und an anderen Universitäten Aufenthalt nahmen. 
EFine Folge dieses Auszugs war die Gründung der Leipziger Hoch— 
schule, welche noch in demselben Jahre stattfand. Das Deutschtum 
in Böhmen erlitt die heftigste Erschütterung, die nationalen Gegen⸗ 
sätze verschärften sich mehr und mehr, und es dauerte nicht lange, daß 
die Hochflut der reformatorischen Ideen alle jene Dämme zerstörte, 
velche die kirchlichen Gewalten zum Schutze der alten Kirche auf— 
gerichtet hatten. In der Bewegung jener stürmischen Tage sind wohl 
die Ursprünge des fanatischen Tschechenhasses gegen das Deutschtum 
zu suchen, von welchem wir heute noch täglich Gelegenheit haben. 
abschreckende Proben zu sehen. 
Eine Weile hielten jene Dämme noch. Auf Betreiben des Prager 
Erzbischofs ward Hus vom Papst mit dem Banne belegt und so 
seinem öffentlichen Wirkungskreis entzogen. Vom Konzil erwartete 
man die Entscheidung auch dieses Streites. König Sigmund forderte
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.