Volltext: Alt-Nürnberg

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Die Beschuldigung war nicht unwahr und doch war sie ungerecht. 
Päpste und Konzilien hatten, gestützt auf die unrichtige Auslegung 
Anes Bibelspruchs, Lukas 6. 85, und aller Einsicht in die Bedürf— 
nisse des menschlichen Verkehrs entbehrend, seit dem 8. Jahrhundert 
wiederholt alles Zinsnehmen von geliehenem Kapital verdammt und 
mit strengen Kirchenstrafen belegt. Das Verbot galt zuerst bloß für 
die Geistlichen, später wurde es auf alle Laien ausgedehnt. Die 
Juden waren nicht davon betroffen, denn für deren Seelenheil hatte 
ja die Mutter Kirche nicht zu sorgen. Klingende Münze war in 
ener Zeit selten und darum sehr gesucht, und wenn auch in den 
größeren Handelsstädten das bare Geld sich immermehr anhäufte, 
so war auf dem platten Land der Mangel daran um so größer und 
empfindlicher. Fürsten und Herren, ja sogar Bischöfe schätzten zu 
Zeiten den Juden als einzigen Retter in der Not. Mit dem Auf— 
hlühen der Städte waren die Juden aus dem Großhandel verdrängt, 
Ausübung des Handwerks war ihnen verwehrt, da die Zünfte bloß 
Christen aufnahmen; so blieb ihnen zur Gewinnung des Lebensunter—⸗ 
halts nichts übrig als Schacher oder Wucher. Es war daher sehr 
aatürlich, daß sie sich auf das Geschäft des Geldverleihens warfen, 
zumal dasselbe sehr einträglich war. Der Zinsfuß für Einheimische 
schwankte zwischen 212/3 —862/,00,, Fremden gegenüber war er unbe⸗ 
schränkt. Am drückendsten war der den kleinen Leuten abgenommene 
Wochenzins, der sehr unschuldig und annehmbar aussah, aber fürs 
Jahr ausgerechnet 200— 2400, ausmachte. Damit aber nicht so 
große Reichtümer sich in den Händen der Juden ansammelten, geschahen 
bon Zeit zu Zeit jene mit hoher obrigkeitlicher Genehmigung vor— 
genommenen erbarmungslosen Abzapfungen; es wiederholte sich mit 
Schrecken erregender Regelmäßigkeit jenes grausame Spiel mit dem 
Schwamm, den man ansaugen läßt, um ihn nachher wieder auszudrücken. 
So war das Leben der Juden Jahrhunderte lang eine ununter— 
brochene Kette von Erpressungen und Bedrückungen, von herab— 
vürdigenden Quälereien und Verfolgungen, von Massenabschlachtungen 
und Austreibungen. Was Wunder, daß in dem rechtlosen Paria 
das Ehrgefühl abstarb, daß er kriechend wie ein Wurm und hartherzig 
wie ein Stein seine Opfer rücksichtslos auspreßte. Was Wunder 
aber auch, daß auf der anderen Seite wieder die vorhandene Ab— 
neigung sich steigerte zu wegwerfender Verachtung oder zum 
grimmigen Haß, der sich forterbte von Geschlecht zu Geschlecht. 
Die von den Juden bis gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts 
erlittenen Drangsale waren arg genug; das Schlimmste aber war 
ihnen als Begleitung und Folge eines der erschreckendsten Ereignisse 
iu der Geschichte der Meuschheit noch vorbehalten. Es war der
	        
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