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—HG II. Die Festtage
vollen Rede auf die Wichtigkeit des Tages hin. Die Rede hatte
folgenden Wortlaut:
„Wir stehen am Vorabende des Tages, an welchem vor
100 Jahren Hans Sachs dahier das Licht der Welt erblickte.
Wer hätte damals geahnt, daß einst nach Jahrhunderten der un⸗
bekannte Schneiderssohn mit einer Glut der Begeisterung gefeiert
würde, wie es in diesen Tagen in allen deutschen Landen der
Fall ist? Mag Hans Sachs auch mit hervorragenden Gaben
des Geistes und Herzens ausgestattet gewesen sein, auch er war,
wie jeder Mensch, bis zu einem gewissen Grade ein Produkt
seiner Zeit und seiner Umgebung. Diese waren aber für seine
Entwicklung sehr günstig. Seine geistige Entwicklung fiel in
eine Zeit, in welcher soeben die Renaissance über die Alpen
her ihren siegreichen Einzug in Deutschland gehalten hatte, in
welcher auf allen Gebieten des geistigen Lebens ein Umschwung
erfolgte, die lateinische und griechische Literatur in üÜber⸗
setzungen dem Volke zugänglich gemacht wurde und die Kunst
in Anlehnung an alte Vorbilder neue Werke hervorbrachte,
die durch die künstlerische Befruchtung des Handwerkes jenes
Kunstgewerbe schufen, dessen herrliche Erzeugnisse heute noch unser
Erstaunen erregen. In dieser Zeit, welche mit dem größten
Glanze und dem Gipfel der Macht seiner Vaterstadt zusammen—
fällt, in welcher die Entdeckung eines neuen Weltteiles und die
Einführung der Buchdruckerei auf verschiedenen Gebieten große
Umwälzungen anbahnen, reifte der zum Manne, in dessen
Innerem eine ganze Welt schlummerte, der ebenso groß in
seiner Schlichtheit, wie schlicht in seiner Größe war, dessen
wuchtige Gestalt sein kerniges Wesen, dessen treue Augen seine
herzerfrischende Fröhlichkeit wiederspiegelten, dessen weitaus—
schauender, offener Blick den Volkston so zu treffen wußte,
daß er durch seine unzähligen Werke wie der furchtbarste
Dichter des 16. Jahrhunderts, so der lebendigste und volks—
tümlichste aller Zeiten wurde, der in dem damaligen Kampfe
der alten mit der anbrechenden neuen Zeit seine Stimme“