Kapitel L.
Nürnberg vor der Reformation.
Nürnberg war am Schluss des 15. Jahrhunderts ohne Frage
die merkantile, geistige und, wenn man von einer solchen reden
darf, die politische Hauptstadt Deutschlands. Letzteres drückte
sich besonders in den Beziehungen zu den Kaisern aus dem
Hause Oesterreich aus, die oft hier weilten; in Nürnberg wurden
die Reichsinsignien von einer Krönung bis zu der nächsten auf-
bewahrt. Im Centrum Deutschlands, am Kreuzungspunkt der
grossen Handelsstrassen vom Süden nach dem Norden und vom
Osteh nach dem Westen Europa’s gelegen, erfreute sich die
Stadt eines blühenden Handels. Infolge dessen hatte sich hier
eine besondere geistige Beweglichkeit und zugleich durch be-
deutenden Wohlstand die Vorbedingung zu künstlerischem und
wissenschaftlichem Leben entwickelt. Man ‘braucht nur an
Dürer, Vischer, an Meisterlin und Hartmann Schedel, die Ver-
fasser berühmter Chroniken, an Regiomontanus, den Vorläufer
des Copernikus, vor allem an Wilibald Pirkheimer zu erinnern.
Zumal die humanistischen Studien wurden hier um ihrer selbst
willen wie in Italien gepflegt. Auch das juristische Studium
ward für die regierenden Patricier bald eine Notwendigkeit;
hatte doch der Rat seit 13771) bereits einen eigenen Rechts-
gelehrten, der Doctor juris sein musste. Auf hoher Stufe stand
auch die Bildung der gemeinen Bürgerschaft. Drei gut besetzte
lateinische Schulen, an den beiden Stadtpfarreien von St. Lorenz
und St. Sebald und am neuen Spital, verbreiteten ein lebhaftes
literarisches Interesse, sodass bis 1500 bereits 481 Druckwerke
in der Stadt erschienen waren und zwar die Bibel in deutscher
Uebersetzung allein in fünf Ausgaben?). Eine öffentliche Mei-
nung über die Weltangelegenheiten konnte sich in Nürnberg
1) Siebenkees, Materialien zur nürnbergischen Geschichte III, S. 600.
2) Strobel. Miscell. liter. Inhalts II. S. 8.