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Kaspar von Wessenig.
geben (das Appellationsgericht war indessen von Ansbach nach Eich⸗
städt verlegt), als sie eine zweite Vision bekam. „Ich wurde
in, eine paradiesische Gegend versetzt, deren Schönheit keine Feder zu
beschreiben vermag; ich erblickte eine unabsehbare Wiese mit den herr⸗
lichsten, balsamisch duftenden Blumen übersäet. Indem ich noch alle
diese Herrlichkeiten anstaune, kommt Hauser über diese Wiese auf
mich zu, grüßt mich und reicht mir die Hand. Sein Gesicht war
verklärt, sein Anzug so prächtig, wie nur ein Kavalier bei einem
königlichen Hofe in Gala erscheinen kann, auf der Brust zwei große
Orden. Verwundert rief ich: Haufer, welche herrliche Veränderung
ist mit Dir vorgegangen? Auf die Orden seiner Brust deutend ant—
wortete er: so weit hätte ich's gebracht, wenn ich wäre am Leben ge⸗
blieben. — O vergessen Sie das, sprach ich, Sie sind für Ihr Leiden
auf der Welt genug belohnt, da Sie in dies himmlische Paradies
versetzt sind. — Er nahm mich nun bei der Hand und führte mich —
er auf der Wiese fortgehend, ich auf dem sandbestreuten Pfade —
von der Anhöhe in ein wunderschönes Thal, welches ein kristallheller
Fluß durchströmte, hier kehrte er sich um, nahm mich bei der anderen
Hand und führte mich denselben Weg zurück, bis zu einem Platz,
welcher mit den kostbarsten und glänzendsten Edelsteinen bestreut war,
daß meine Augen davon ganz geblendet wurden, und ich entzückt
ausrief: Das ist kein irdischer Reichtum! Und als ich noch im An—
schauen der Pracht und Schönheit versunken war, sprach er mahnend:
sei standhaft und nicht wankelmütig und halte Dein Versprechen!
Als ich mich nach ihm umsah, war er verschwunden. Meine Augen
suchten und fanden ihn auf einen Hügel zugehend. Das ist der Weg
nach Ansbach, rief ich, er geht an sein Grab, um seine Gebeine zu
besuchen. Bei diesem meinem Ausruf verschwand alles. Nach dieser
Vision betrieb ich die Sache lebhafter und mit mehr Ernst und kam
in derselben glücklich weiter.“
Der sogenannte Kaspar Hauser war das Kind eines unbemittelten
Leutnants und einer verheirateten hohen Dame, das während einer
zweckdienlichen Reise in Ungarn geboren und der Gouvernante Dal-—
bon übergeben wurde. Als der Vater mit seinem Kavallerieregi⸗
ment 1815 nach Beendigung des Krieges in seine Garnison zurück—