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Am 26. Mai 1828.
des empfindlichen Rittmeisters nicht zufällig ein Polizeikommissär zu—
gegen gewesen; wäre Kaspar, wie seine offenbare Absicht war, ohne
weitere Nachforschung nach seinen Personalien, Reiter geworden: die
Welt würde wohl nie seinen Namen je vernommen haben. Durch
diese Verkettung aber geriet er nicht in die erwünschte Kaserne, son—
dern in den Turm. Die genommenen Vorsichtsmaßregeln, sein
Versteckenspiel nahm eine festere Gestalt an, die kleinen Notlügen
wuchsen zu Riesen an. Seine einfache Absicht, unerkannt zu
bleiben, erreichte er aber so gründlich, daß die Entdeckung der
Wahrheit rasch unmöglich geworden ist. Und das war freilich
nicht mehr Kaspars Werk! Die mythenbildende Phantasie, das Sen—
sationsbedürfnis einer ereignislosen Zeit kam ihm so hilfreich ent—
gegen, daß man für ihn dichtete, log, schwindelte, bis in das Un—
denkbare hinein. Er kam durchaus nicht mit einem ausgearbeiteten
Plan eines raffinierten Betruges nach Nürnberg, denn das ist nicht
allein psychologisch undenkbar, sondern historisch vollkommen über—
flüssig. Ich wiederhole, er hatte etwas zu verbergen, was eine
nüchterne Untersuchung auch wohl hätte herausbringen können. Mehr
nicht. Ein großartiges Problem, oder irgend eine Gruselgeschichte
liegt gar nicht vor; und sollte der Leser im Verlaufe der Darstellung
doch noch Anfälle von Schwäche bekommen, abergläubisch, d. h. ethisch
angekränkelt werden, so gesunde er nur sofort wieder durch einen be—
herzten Rückblick auf den Kaspar Hauser vom 26. Mai 1828!
Bis hierher haben wir eine alltägliche Geschichte geschrieben, wie
solche in der gerichtlichen Medizin, in der Psychiatrie (Abteilung
Simulanten), ja im täglichen Leben unzähligemal vorkommen. In
unserem Falle aber lagert auf dieser Alltäglichkeit eine turmhohe
Schicht von Wundererzählungen.