Full text: Mein Kriegs-Tagebuch vom 29. Juli bis 1. September 1870

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Ein langer Schlaftrunk, zu dem unz der Hausherr einlud und bei dem 
zr den Beften vom Keller auffahren ließ, endete den 1. Rafttag in Dey. 
22, Auguft. 
3 hatte mid am vorhergehenden Tage fo weit erholt, daß e8 mir be: 
deutend lieber gewefen wäre, wir wmären Heute wieder fortgezogen, als daß wir 
nochmals einen Tag in Dey zugebracht Hätten, 
Zwar Kfonuten wir mit unjerm Schieffal infoweit zufrieden fein, al8 un8 
dies in ein freundlidhes Haus mit freundlichen MenfhHen geworfen; und wollte 
ich jagen, daß das Zubvorkommen und die Aufnerkfjanıkeit der Hausleute abge: 
nommen hätte, jo müßte ich fügen. Im Gegentheil hob fih die Güte der 
Speijen auf eine bis jebt ungefannte Höhe, was mid veranlaßte, auch einmal 
der Hausfrau in die Töpfe, D. H. in die Küche zu guefen, Die franzöfifchen 
Kochvorrihtungen find fehr einfacher Natur, ob zwecmäßiger al8 die unfrigen, 
dariiber Habe ich Fein Urtheil. Im Kamin ift gewöhnlidh eine Borridhtung an: 
gebracht, um die eifernen Kejfel in jeder beliebigen Entfernung vom Feuer an: 
bringen zu fönnen und in Ddiefemn Keffel geht der ganze Kochprozeß vor fich, 
wobei das fodhende Individuum auf den Knieen Herunmrut{ht, da erwähnter 
Prozeß nur 11/, Fuß vom Erdboden entfernt jtattfindet. Ob wir nun gerade 
zine ganz exquilite Perfönlichkeit der Kochkunft vor un Hatten, kann ich nicht 
dehaupten, doch waren deren NRefultate höchft befriedigende zu nennen. 
Noch vor Schluß des Mittagefiens und noch vordem der biedermännliche 
Dausherr in althergebrachter Weije einige Flajdhen Champagner zum Beften 
gab, traf mid) der Befehl zur Abholung des Operationsbefehls FHır den Kınf: 
tigen Tag in Meligny le Grand. Da der Weg dahin gut vier Stunden war, 
'o erhielt id) zugleid die Ermächtigung, mir im Ort ein Fuhrmwerk zu requi: 
viren, Das ich denn auch in Geftalt eines zweirädrigen Karrens nebit einem 
Saul, deffen Nippen hHöchft deutlich fihtbar waren, auftrieb. Ein Kuticher, der 
zinen Dialekt {prach, in Ddeffen Myfterien ich abfolut nicht eindringen fonnte, 
oildete meine Begleitung. Den Mangel der Unterhaltung mit mir erfeßste der 
des Fahrens Kundige durch fortwährende Unterhaltung mit feinen S®aul: 
gefpenjt, das jicher ohne das ftete Mufen und Schreien unterwegs einge[dh la: 
ien wäre. 
Um Plage angekommen, übergab ih mein Fuhrwerk der Obhut eines 
Poftens, und da der Befehl noch nicht eingetroffen war, hörte ich einftweilen 
geduldig und ergeben die Produktion der Mufik des im Orte Fkantonnirenden 
SJägerbatatllons mit an. Unvorfichtigerweije hatte ih das Mitnehmen von 
Vebensmitteln für unnödthig erachtet, da ih mit Beftinnttheit auf baldiges 
Wiedereintreffen in Dey rechnete und — mich verrechnete. 
AS e8 Abend wurde und fih der Himmel mit Sternen füllte, wurde 
mein Magen, {hon ftark mitgenommen, dur das elende Fahren mit dem ditto- 
Suhrwerf, immer leerer, Da führte mir der Zufall einen aus allerweitefter 
derne bekannten Ajfiftenzarzt in die Hände, den ich wie meinen intimfjten Freund 
begrüßte und nebenbei moralifidh nöthigte, mir Pillen contra Hunger zu verab: 
ceichen, die aber, da diefe Seite feiner Apotheke die jHmwächfjte mar, nicht be: 
ionders vohumind8 ausfielen. Dafür war ein Kamerad, der mit der gleichen 
Mijfion, mie ich, betraut war, fo vorfichtig gewejen, fiH mit Wein, Brod und 
Räs zu berprodviantiren, fo unvorfichtig, diefe Sachen in meiner Segenwart zu efjen und 
0 juperlatiomäßig unvorfichtig, mir davon anzubieten. Ich uurmelte etmwaz von 
feinem Korb geben wollen und nahm feine Kameradjchaftlichkeit im ausgedehnteften 
Maße in Aniprucdh, Sr lag ungefähr 11/2 Stundenentfernt, mar ohue Hahrgelegenheit
	        
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