Volltext: Anselm von Feuerbach, der Jurist, als Philosoph

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Ein weiteres Argument liefert der Geist des Kritizismus 
selbst. Die Vernunft ist das Vermögen, das Gegründete ın 
Zusammenhang mit seinem Grunde, das Bedingte im Zusam- 
menhang mit seiner Bedingung darzustellen. Da alle Erkennt- 
nisse der Vernunft aus Gründen bedingt sind, muss die Ver- 
nunft zur Regulierung ihres Gebrauchs ın Aufsuchung der 
Gründe der Erkenntnis die ganze Reihe der Erkenntnisse als 
bedingt durch unbedingte Erkenntnisse denken. 
Diese Idee1) der unbedingten Erkenntnis ist nun diejenige 
der absoluten Ursache, angewendet auf ein Mannigfaltiges der 
Erkenntnisse, welche als das Unbedingte der durch sie be- 
dingten Erkenntnisse, sofern man sie in einem Satz ausgedrückt 
denkt, „Grundsatz‘“ heisst und, weil durch nichts höheres be- 
dingt, als Schlusstein des ganzen Systems bedingter Erkennt- 
nisse gedacht werden muss. Aber alle Ideen des Unbedingten 
sind nichts weiter, als regulative Prinzipien. Also auch dıe 
Idee der unbedingten Erkenntnis. 
Vermöge dieser Idee soll die Vernunft immer mehr fort- 
schreiten in der Reihe der Erkenntnisse. Sie soll nach einer 
unbedingten Erkenntnis suchen, als wenn wirklich eine solche 
zu finden wäre, das heisst, sie soll von Bedingung zu Bedingung, 
von Gründen zu Gründen im unendlichen Regresse sich er- 
heben. Also hat ein unbedingter Grundsatz nur als Idee be- 
trachtet Realität; aber diese Idee kann nie realisiert werden, 
ist bloss von regulativem Gebrauch. Ferner kann die Vernunft 
nie einen obersten Grundsatz finden, nie in der Reihe der Er- 
kenntnis zu einem unbedingten Satze gelangen — ihr Ziel ist 
unendlich und kann nie erreicht werden. Sie muss immer zur 
Wissenschaft fortschreiten und sie verleugnet sich selbst, wenn 
sie auf einen Punkt, als auf der letzten Grenze, ewig stehen 
bleiben will. Ewig fortzuschreiten ist die Aufgabe, die ihr die 
Idee der unbedingten Erkenntnis vorlegt. 
Hat Feuerbach somit die Unmöglichkeit eines obersten 
Satzes der Philosophie dargetan, so verteidigt er sie doch zu- 
gleich gegen einen anderen Einwurf in einer Weise, die ge- 
rade für seine Auffassung von dem Wesen der Philosophie 
ungemein charakteristisch ist. Er fragt: „Wie steht es denn 
nun mit der Würde und Wahrheit der Philosophie? Welch 
1) Nieth. Journal S, 321.
	        
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