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aufreizenden Reden gegen den Rat und die religiösen Neuerer nicht
lassen wollten. Wiederholt mußte der Rat Mönchen, die zu heftig
eiferten, das Predigen untersagen oder ihnen sogar um ihrer eigenen
Sicherheit willen die Stadt zu meiden anempfehlen, so unter anderen
dem Predigermönch Wunderlin, der in der Beichte geäußert haben
sollte, man werde den Rat schon noch aus dem Rathause hinauswerfen,
darum, daß er sich zu Luthers Irrglauben bekenne. Die Jahrhunderte
lang durch satirische Schriften in Wort und Bild verbreiteie Auf—
fassung, daß die Mehrzahl der Kuttenträger nichts als Faulenzer,
Tagediebe und sittlich verderbte Heuchler wären, eine Meinung, der
auch Hans Sachs in einem seiner Prosadialoge „von den Scheinwerken
der Geistlichen und ihren Gelübdten“ Ausdruck gab, wurde jetzt die
allgemeine. Die heftigen Sermone Luthers und Osianders gegen das
Klosterwesen, zu denen sich auch einzelne von Laien abgefaßte Send—
briefe gesellten, wurden mit Eifer gelesen. Namentlich gegen die Non—
nenklöster richtete sich der Haß des Volkes und der Zorn der evan—
gelisch gesinnten Geistlichkeit und auch in den ehrbaren und vornehmen
patrizischen Kreisen nahm man an einer Einrichtung Anstoß, die als der
heiligen Schrift widersprechend betrachtet wurde. Allen diesen Angrif—
fen setzten die Nonnen einen zwar passiven, aber um so zäheren Wider—
stand entgegen. Ihr natürliches Haupt fanden sie in der Äbtissin des
Klaraklosters, der uns schon bekannten Charitas Pirkheimer. Am
21. März 1466 geboren und frühzeitig, vielleicht als Dreizehnjährige,
ins Kloster gekommen, hatte sie ihr ganzes Leben in stiller klösterlicher
Zucht zugebracht, ohne indeß den Verkehr mit der Außenwelt, mit
vornehmen und gebildeten Männern ihrer Vaterstadt ganz zu unter—
lassen. So verband sie ein überaus herzliches Verhältnis zu dem Propst
bei St. Lorenz, dem tief religiös angelegten und doch humanistisch
gebildeten Sixtus Tucher (starb 1507), mit dem sie und eine Verwandte
des Propstes, Apollonia Tucher, die gleichfalls im Klarakloster lebte
und hier 1484 zur Priorin gewählt worden war, zahlreiche Briefe
wechselten. Die Briefe der Nonnen sind verloren gegangen. Dagegen
veröffentlichte Christophh Scheurl im Jahre 1515 vierzig von Sirt
Tucher ursprünglich lateinisch geschriebene Briefe in deutscher Sprache,
als sog. „Sendbriefe“, wie er sie nennt. Einen sehr intimen Verkehr
unterhielt Charitas auch mit dem genannten Dr. Scheurl selbst, der nach
der Sitte der Zeit das Lob der hochgebildeten Nonne in seinen Briefen nicht
stark genug aufzutragen wußte. Doch auch der Ratsherr Kaspar Nützel,
Pfleger des Klosters und später einer ihrer heftigsten Gegner, sowie
Lazarus Spengler und Albrecht Dürer müssen ihr nahe gestanden
haben, wie aus einem reizenden neckischen Schreiben hervorgeht, das sie