Full text: Die israelitische Kultusgemeinde Nürnberg

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daß er in Nürnberg unter den vielen Künstlern weniger schnell das 
Auge auf sich lenken würde, und wählte deshalb Würzburg als den 
Ort seiner Thätigkeit. 1483 wurde er hier in die Lucasgilde aufge⸗ 
nommen. Neben seiner hohen künstlerischen Begabung muß er ein 
Mann von feiner Bildung gewesen sein, denn er bekleidete sogar eine 
Zeit lang das Amt des ersten Bürgermeisters). Auch muß er hoch 
betagt gestorben sein, denn nehmen wir an, daß er erst 20—22 Jahre 
alt, sich in Würzburg niederließ, wird er, da er 1531 starb, ein Alter 
von etwa 70 Jahren erreicht haben. 
Es ist ausgesprochen worden, Tilmann Riemenschneider scheine 
unter dem Einflusse der Syrlinschen Schule ausgebildet zu sein. Manches 
in seinen Werken, besonders die Durchbildung der zierlichen, etwas 
spitzen Hände läßt dies vermuten. Daneben blickt bisweilen von Stoß 
und Krafft etwas durch?). Tilmann arbeitete in Stein und Holz; seine 
Gestalten sind schlank und ihre Gewandung zeigt eine knittrige auf 
malerische Kontraste angelegte Faltengebung mit eckigen und harten 
Brüchen, ihr Gesichtstypus ist länglich, bisweilen mager, und die 
Backenknochen treten kräftig hervor. Der Mund ist zierlich, die Nase 
langgezogen. Eins macht uns aber den Meister so lieb und wert, 
daß er in den lebensvollen, meist jugendlichen Köpfen mit etwas 
melancholischem Ausdrucke und lockiger Haarfülle das rechte Maß 
im seelischen Empfinden zu halten wußte, niemals zur Verzer⸗ 
rung gelangte und alles Phantastische vermied. In den bisweilen 
höchst anmutigen Gesichtern erstrebte er eine einfache Schönheit; Wahr⸗ 
heit der Empfindung und tiefes Gefühl, zwar nicht so herzbewegend, 
wie es Krafft verstand, legte er in seine Gestalten hinein. Nur freie 
Bewegung vermochte er ihnen nicht zu geben: sie tragen mitunter etwas 
von einem Automaten an sich, der aufs treuste der Natur nachgebildet 
ist, dessen Bewegungen aber steif und eckig bleiben. Krafft verstand 
seinen Figuren die freiste Bewegung und wirkliches Leben zu geben, 
und darin ist er dem Tilmann bedeutend überlegen. 
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Tilmann kann kein Renaissancekünstler genannt werden, in dem 
Sinne, daß er von der italienischen Renaissance beeinflußt worden 
) 1518 wurde er in den obern Rat gewählt, 1520 Bürgermeister. 
) Es wurde öfter die Vermutung ausgesprochen, Adam Krafft und Tilmann 
könnten aus einer Schule hervorgegangen sein.
	        
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