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Die Pflichten ausgenommen, welche die genossenschaftliche
Verbindung den Mitgliedern auferlegte, übten diese in
mannigfacher Abstufung‘ die Rechte unabhängiger Reichs-
stände aus. Ausserdem genossen sie Exemtion von den
Beschlüssen des Reichstags; sie sollten von den Anord-
nungen des Landesherrn befreit sein. Bei Streitigkeiten
mit den Ständen sollte nicht das Reichskammergericht,
sondern der allein dem Kaiser verantwortliche Reichshof-
rat Recht sprechen.
Obwohl dieses einseitige Vorgehen der Reichsgewalt
grösstenteils nur alte Rechte schützte, entsprach es doch
auch schon im 16. Jahrhundert nicht mehr den An-
schauungen der Stände. So vereinbarten 1564 mehrere
Kurfürsten und Fürsten Schwabens und Frankens einen
Rezess geger eine etwaige Verkürzung der ständischen
Rechte durch reichsritterschaftliche Privilegien.! Auch
die Kreisversammlungen murrten, da infolge des Nichtbei-
tragens der Ritterschaft zu den Reichs- und Kreislasten
die einzelnen Kreisstände höher belastet waren. Von
Anfang an drangen der schwäbische wie der fränkische
Kreis auf Anschluss der Reichsritterschaft.? Allein die
Zeit stand viel zu sehr im Zeichen religiöser Kämpfe, als
dass die Stände in der Angelegenheit sich energisch
gegen den Kaiser gewandt hätten, Auch nachdem die
Wogen der religiösen Bewegung sich mehr und mehr
legten, gab es Fragen von grösserer politischer Tragweite
als den Hader um die Reichsritterschaft. Die Institution
hatte, als 1704 und 1753 Reichsgutachten die Preisgabe
der Ritterschaft durch das Reichsoberhaupt verlangten,
bereits zu tiefe Wurzeln geschlagen, als dass die Nicht-
ratifizierung der Beschlüsse durch den Kaiser auf Wider-
stand gestossen wäre.® Der Wiener Hof durfte, da sich
1, Hänlein und Kretschmann: Staatsarchiv I, 616, 610 f.
2. Langwerth von Simmern 221 ff.
3. Für 1704 s. J. J. Moser: Neueste Geschichte der unmittel-