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kein Hindernis und keine Schranken kannte. Und
die stiile Mutter bangte um ihr lebhaftes Kind.
Wenn Annes Wünschen einmal den natürlichen
Weg ging, wenn sie einmal dem Mann begegnen
würde, den sie lieben mußte, war es sicher, daß
auch der sie liebenswert fand?
Bis jetzt hatte Anne nur ihren Vater bewundert
und geliebt, und neben ihm schienen ihr alle jungen
Männer unbedeutend, nicht liebenswert. Und so
blieb es die ersten beiden Jahre, seit Anne die
Kinderschuhe ausgetreten hatte und als erwachsene
Tochter den Platz einer trotz allem viel um—
worbenen schönen Tochter eines einflußreichen Vaters
einnahm.
Aber das wurde anders, als plötzlich ein
junger Assessor aus Augsburg in Nürnberg ein—
gezogen war. Von der Bewunderung, die dem
Vater sonst allein gehörte, gewann Hellmut Haßner
nach und nach ein Bruchteilchen um das andere,
und Bürgermeister Rottmann hatte seiner Anne viel
von diesem jüngsten Mitglied des Rates zu erzählen,
hatte ihn auch — und er tat es mit nachsichtigem
Lächeln — an seinen runden Abendtisch zu ziehen.
Anne sagte unverhohlen, er sei ein ganzer
Mann, mit ihm könne man doch über allerlei reden;
er kenne die Dichter und Denker der letzten Jahr—
zehnte und lächle nicht über sie, wenn sie in Be—
geisterung gerate über Bücher, die vielleicht bei
anderen Mädchen nicht auf dem Bücherbrett ständen;
oder wenn sie mit lebhafter Begeisterung Partei für
oder gegen eine Zeitfrage ergreife.
Anne lachte nicht über ihn wie über die