—A—
109
Der Ruͤrnbergischen
HESPERIDVM
Rnderer Sheil /
Das Erste Capitel.
Von denen Witronaten insgemein.
ILE. die alteste unter den dreyen Schwestern der hꝛesperĩ⸗
dam, als sie die Pforte ihres vortrefflichen Gartens er⸗
offnete / stunde ich voller Rerwunderung ausser mir seld⸗
sten / nicht wissend / ob ich die Anmuthigkeit der gantzen
Gegend / so sich um und um praͤsentirte/ zů erst betrachten/
oder / ob ich meine Augen guf die bunde und so zierlich ron
re in — ander — — Vne 6
J n sie bestunden aus lauter lebendigem Gestraͤuche/
αŸII)α von Lorbeern und Graͤnaten, da dann jener gruͤnes Laub
einen angenehmen Geruch von sich gab / und die hohe Scharlach⸗Farb der gefuͤll⸗
ten Granaten⸗Bluͤhe die Augen ungemein ergoͤtzete. Gegen Mittag und Abend
umsloß das Ufer oder die Grentze dieses Gartenss ein anmuthig⸗ und Fisch⸗ reicher
See / weil diese Gewaͤchse solche Oerter gerne lieben / wo sie eine feuchte Lufft mit
warmen Sonnenschein verwechseln tonnen / wie dann gemeiniglich an diesen orten
die schoͤnste Gaͤrten solcher edlen Fruͤchte zu finden / wie mit dem Exempel des Gard⸗
und Genueser⸗Sees zu beweisen. Hinter diesem Garten stehen viele Berge / so
mit denen hoͤchst⸗mitzbaren Oel⸗Baͤumen haͤuffig besetzet sind / welche die rauhe
Nord⸗ und diesen so zarten Gewaͤchsen sehr schaͤdliche Ost⸗Winde abhalten. Wann
man in diesen herrlichen Frucht⸗Garten weiter hinein spatzirte / sahe man schoͤne
lange Gaͤnge und Gelaͤnder von Latten gemachet / woran die koͤstlichste Citranaten
mancherley Arten / theils rund / theils ablang / theils unzeitig / theils groß / theils
klein / in grosser Menge hiengen / welche mit ihrer schoͤnen Bluͤhe auch dann und
wann vermischt zu sehen waren.
JEs zeigte uns die Garten⸗Patronin Ægle daben an / daß diese Lruͤchte nach
Art der Baͤume sich nicht wol wolten in die Hoͤhe zu wachsen gewoͤhnen
lassen / sondern fuͤglicher an Gelaͤndern angehaͤnget / aufgezoͤgen wuͤr⸗
den / woran sie oͤffters / zumal wann sie groß / muͤssen bevestiget und angebunden
werden / widrigen falls sie / wegen ihrer Schwehre / gantze Aeste abbrechen wuͤr⸗
den / daher auch nicht wol ein formlicher Baum daraus gezogen werden koͤnte /
sondern je niedriger sie an der Erden wuͤchsen / je schoͤner bluͤheten sie/ und je voli⸗
kommnere Fruͤchte pflegten sie zu tragen / zudeme waͤre es ihnen sehr nutzlich /
wann sie zugleich etwas tieff in der Erden stuͤnden: Und dieses habe ich nachge⸗
hend wahr zu seyn befunden / da ich einen etwas hochsehenden Vircnaam
mi