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Hans Sachs.
dahin, dass die grobe Schrift der Text, die feine die Glosse
sei, Als der Vater eine Erklärung der fremden Worte „Text“
und „Glosse“ verlangt, erwiedert der Sohn: „Unter „Text“ wer-
den hier die Gesetze und Verordnungen verstanden, welche die
alten Kaiser gegeben haben; unter „Glosse“ die sich oft wider-
sprechenden Erklärungen der Gelehrten.“
Der Müller erwiedert nichts; aber während der Sohn einen
Mittag bei dem Geistlichen zubringt, zeichnet er auf der Decke
des Corpus juris — denn ein solches war das dicke Buch —
Striche mit Röthelschnur und haut mit einem Beil den Rand
sammt der Glosse ab. Als der Jüngling am Abend nach der
Mühle zurückkehrt und sein seltsam zugestutztes Buch sieht,
ruft er: „O weh, du hast mir das beste Werkzeug meiner Stu-
dien zerstört!“ „„Gut gemacht hab’ ich es,““ erwiedert der Alte;
„„was wahrhaftig daran ist, hab’ ich übrig gelassen und nur
den Widerspruch und die Lüge heruntergehauen.““ „O mein
Vater,“ entgegnet der Student, „von der schmalen, kleinen Wahr-
heit des Textes können wir Juristen nicht leben; die Glosse
dagegen gibt uns Stoff zu muncherlei Ausflüchten und Listen,
um zu Gunsten unserer Partei das Schiefe gerade, das Gerade
schief zu biegen. Unsere beste Kunst schöpfen wir aus der
Glosse; die schafft uns Brot und Ansehen.“
Zornig erwiederte der Müller: „„Solche Kunst achten wir
Dorfleute nicht, und das einfache Gericht, das wir unter der
Linde abhalten, findet die Wahrheit besser, als der gelehrte
Rechtskram und die Glossenwirthschaft. Von jetzt an, mein
Sohn, zahl’ ich keinen Heller mehr für dein Studium. Du wirst
die Juristerei an den Nagel hängen und dich von deiner Hände
Arbeit nähren, wie ich es in jungen Jahren auch gethan,.damit
deine Seele bei der Glosse nicht Schaden leide.““
Kulturgeschichtlich interessant ist der Schwank: der Un-
holden Bannen. Klaus Ott, ein abergläubischer Bauer aus
Schwaben, pflegt die Unfälle, die ihm zustossen, das Lahm-
werden eines Pferdes, die Erkrankung einer Kuh, den Unholden
und Druden zuzuschreiben. Dies benutzt ein fahrender Schü-
ler, welcher Gaunerei auf den Dörfern treibt, indem er ihm
erzählt, wie er im Hörselberg bei der Frau Venus gewesen und
dort ein Meister der schwarzen Kunst und Geisterbanner geworden