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Feind, wie wol mitten hinein in den Preisgesang noch hie
und da eine Unke heult. Muß dem Christenthum Haß geschwo—
ren haben, wer nicht mit den Stolbergen vor jedem Crueifix
kniete? Hätte der Kirche geflucht, wer sie in den rührendsten
Bildern verherrlichte? oder von Gott sich abgewandt, der die
drei Worte des Glaubens schrieb? Doch wozu einen verschla—
fenen Stundenrufer über die Zeit belehren, wenn er im Gäß—
chen Mitternacht singt, nachdem uns schon das Frühroth in die
Fenster scheint? Wer ihm Glauben schenkt, mag ruhig weiter—
schlummern, uns andern aber es zu Gute halten, wenn wir
abgeneigt sind mit der Wissenschaft des achtzehnten Jahrhun—
derts zu brechen. Der Schüler Kants war kein Lavater und,
wer die Götter Griechenlands sang, kein Redacteur der Kreuz—
zeitung. Aber stempelt denn der Glaube an Gott, Tugend und
Menschenwürde zum Abtrünnigen? Wirkte den Zwecken Christi
entgegen, wer die geistig sittliche Erhebung seiner Brüder sich
zur Lebensaufgabe stellte? Wozu vor Ueberzeugungsgenossen.
noch weitere Beweise? Vielleicht hätte ich mir überhaupt diesen
Mißton ersparen können. Denn auch Sie lieben ja wol mit
mir Schiller eben deshalb am innigsten, weil er zwar die Ge—
spensterfurcht verschollener Zeiten bis auf den letzten Rest aus
seiner Seele gebannt hatte, aber dennoch warm für das Gött—
liche fühlte, kein Spötter, kein Zweifler, kein Gleichgültiger,
sondern mit dem tiefsten Denker des Jahrhunderts ein ernster
Prediger jener Hauptsätze, die von Alters her wie sanftes Mond—
licht auf die dunkeln Pfade der Sterblichen leuchten. Gerade
in der tiefen Hochachtung vor dem Heiligen und Sitt—
lichen, die ihn beseelte, erkennen wir das innerste Merkmal
seines deutschen Charakters. Des Germanen Blick strebt ver—
trauensvoll nach oben und kehrt dann sinnend in die eigene
Brust zurück. Diese Innerlichkeit ist uns ins Herz gesenkt seit