VIII.
Das menschlich Herz
ist einer Malmül gleich.
1548.
Einsmals in meiner tummen Jugent,
Eh ich erkennt die edlen Tugent
Und mit ander Kurzweil umbgieng,
Erforscht doch geren seltsam Ding,
Wo mir nur kunt gedeihen das.
Eines Tags ich auf einr Hochzeit was.
Und als man trank, war wolgemut.
Ein Gast dem andern het vergut,
Ich fragt ein Doktor künstenreich,
Wem des Menschen Herz wer geleich.
Er antwort mir fein senft und kül:
Das Herz ist ganz gleich einer Mül,
Das an al Russtets malen tut,
Was man aufschütt, bös oder gut.
Dem selbigen es Tag und Nacht
Gar embsiglich nach dicht und tracht,
Melt und beutelt es hin und her.
So spitzfündig und wunderper,
Und tut sich mit stetem Nachdenken
Selb trösten und auch oft bekrenken,
Sich etwan hoch in Freuden übet,
Etwan sich engstlich hart betrübet.
Jetzt ist er ring, dan balt schwermütig,
9
tumb noch im alten Sinne: unerfahren. — 3 als ich noch. —
1Hauptsatz, ergänze: ich. — 6 Hochzeit, Fest. — 8 vergut wie unser:
verlieb nehmen', aus für gut haben, freundlich sein mit jem. — 13 ohne
alle Ruhe. — 17 mehlen und beuteln sind Ausdrücke des Müllerei—
Gewerbes. Mahlen und durch den Beutel sieben wechseln sich ab bei der
Bereitung des Mehles. — 18 wunderbar. — 20 bekrenken, be—
unruhigen. — 21 etwan, bald einmal. — 23 er, der Mensch. — ring
leicht, nicht beschwert, sorglos; vgl. gering.
28
Afrn m,
siehe g