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Aufgabe einer verständigen Wirtschaftspolitik kann es deshalb nicht
sein, nur solche Betriebe fördern zu wollen, die vielleicht nach außer—
gewöhnlichen, stets veränderlichen Umständen als handwerksmäßige Be—
kriebe bezeichnet werden können, sondern der wirtschaftlich Schwache muß
gefördert werden, sei er nun Handwerker oder Fabrikant.
Der wirtschaftlich Starke hilft sich selbst, und wer wollte es z. B.
bestreiten, daß es eine ganze Reihe von Betrieben gibt, die von den In—
nungen als handwerksmäßige angesehen werden, dennoch aber recht kräftig
und erfolgreich dastehen. Nicht nur der Handwerker ist notleidend! Es
ist falsch, wenn es auch noch so oft gesagt wird, daß die Begriffe „wirt—
schaftlich schwach“ und „Handwerk“ ein und dasselbe seien.
Es scheint allerdings im Zuge der Zeit zu liegen, die wirtschaftlich
Schwachen nicht aufkommen zu lassen, während die starken Betriebe un—
derhältnismäßig mehr gefördert werden. Das ist aber nicht allein im
Müllereigewerbe so. Aufgabe einer gesunden Wirtschaftspolitik muß es
deshalb sein, diesen Zug der Zeit, den Starken immer mehr zu stärken,
zu unterbrechen und die Gunst der Verhältnisse auch dem Schwachen zu—
zuwenden. Das ist richtige Mittelstandspolitik, die ihre Umschließung
keineswegs nur im Handwerk findet.
Einseitig und falsch würde es sein, die Großindustrie auf jeden Fall
zu bekämpfen; auch sie hat ihre kulturelle Mission, und ohne darauf im
einzelnen eingehen zu wollen, muß doch betont werden, daß der wirtschaft—
lich starke und immer stärker gewordene Großbetrieb es für Deutschland
möglich gemacht hat, den Weltmarkt zu erobern und unser Vaterland im
Rat der Völker groß zu machen.
Erstrebt aber muß werden, daß die Vorteile, die der Großbetrieb von
selbst genießt, indem er in der Lage ist, Kapital, theoretisches Wissen und
technisches Können zu vereinigen, daß diese Vorteile entweder auch dem
wirtschaftlich Schwachen zugewandt werden, oder dann an anderer Stelle
und geeigneten Orts ein billiger Ausgleich geschaffen wird.
Wie kann aber dieses Ziel erreicht werden? Sicherlich nicht dadurch,
daß die verschiedenen Gruppen des Müllergewerbes in eine Kampfstellung
gegeneinander gedrängt werden! Das hieße die Pferde vorn und hinten
an den Wagen anschirren. Zusammenfassung aller Kräfte, das ist es,
woran es heute fehlt. Was erreicht werden kann, zeigt ja nach Maß—
gabe seiner verhältnismäßig engen Grenze die Geschichte unseres Ver—
bandes, dem es bei seinen immerhin beschränkten Mitteln natürlich nicht
gelingen konnte, alle Quellen des gewerblichen Niederganges zu verstopfen,
der aber doch auch schöne Erfolge aufzuzeigen hat.
M. H., das ist praktische Mittelstandspolitik, die leider nicht den
erwünschten Umfang hat annehmen können, weil dem auf einen nur
kleinen Teil der deutschen Müller beschränkten Verband Deutscher Müller
die finanziellen und persönlichen Kräfte fehlen, mehr zu tun. Aber nur
dieser vom Verband Deutscher Müller von jeher innegehaltene Weg kann
zur Förderung der deutschen Müllerei dienen, und deshalb erscheint es
erwünscht, bei der bevorstehenden Beratung der Handwerkerverhältnisse
zu versuchen, den zuständigen Behörden die Einsicht beizubringen, daß
nicht die Schaffung von Sonderorganisationen, daß nicht Zwanasinnungen