Volltext: Zu Nürnberg

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welche die ungewohnte nächtliche Ruhestörung aus den Federn 
treibt. Alt und Jung muß wissen, um was es sich handelt! — 
Üeberall derselbe Staunensruf „Jesses, der Gärner!“ — Wir 
sind im obersten Stockwerk angelangt, das Gebälke des Stiegen— 
hauses ist hier so niedrig, daß man kaum erhobenen Hauptes 
einherschreiten kann. 
Ein steinaltes, gebücktes Mütterlein, — notdürftig in einen 
hundertfach geflickten Rock und in ein großlöcheriges Tuch gehüllt, 
tritt schlürfenden Schrittes aus ihrem Kämmerchen. Rurze graue 
haarsträhne hängen wirr unter der Nachthaube hervor, bloße 
magere Arme krampfen das widerspenstige Tuch um die eckigen 
Schultern — mit der unsichern Rechten hält sie das qualmende 
Talglicht empor und beleuchtet die langsam sich bewegende 
Karawane. „Jesses, Jesses! mein Gärner, mein guter Gärner!“ 
— ruft sie — „Ach liebs Herrgottle! die Krau! die arme Frau! 
wird die närrisch thun!“ — 
Wir machen Halt. Das Weiblein winkt uns an eine Thüre 
heran, der ihren gegenüber. — Sie klopft und öffnet zugleich. 
„Frau Gärner!“ — schreit sie in das matterleuchtete Stübchen. 
Bei ihrem Rufe erhebt sich eine Frauengestalt, die gebückt an 
einem rohgezimmerten Holztische gesessen hat. Sie ist beim trüben 
Scheine eines Nachtlämpchens beschäftigt, Bleisoldaten anzumalen. 
In Reihe und Glied stehen die fertigen roten, grünen und blauen 
Regimenter vor der Einsamen; daneben liegt noch eine beträcht— 
liche Partie ungemalter im grauweißen Urzustande. 
Die Frau — offenbar schwerhörig — schiebt die große 
hornbrille auf die Stirne und wendet sich der Sprecherin zu. 
„Was gibt's Frau Henlein?“ — fragt sie mit müder Stimme. 
Doch schon gewahrt sie den kleinen Trupp schwertragender 
Männer, die sich unter meiner Leitung der Thüre genähert haben. 
— Ein undefinirbarer Laut des Entsetzens, des Schmerzes entringt 
sich ihren Lippen, als sie der Männer Last erkennt. „Mar! mein 
armer Max!“ murmelt sie und sinkt in die Knie.
	        
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