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Sie liebte an ihrer Freundin diese Hände, die
im Gegensatz zu den sonst überschlanken Formen
Antonies standen. Sie hatte dies immer geliebt,
wie man ein Bild, wie man eine Statue liebt.
Seitdem in ihr Leben Hellmut Haßner getreten,
hatte fsie erst begonnen, ihr eigenes „Ich“ an
anderer Mädchen Reize abzumessen, und sie hatte
zu ihren Ungunsten entscheiden müssen.
Aber es war nicht Annes Art, fich mit solchen
Gedanken lange abzugeben. Sie gedachte der Ge—
spräche, die sie mit Hellmut geführt, sie dachte an
das Gemeinsame, das sie zusammengeführt, und
vergaß, weiter zu prüfen, ob fsie anziehend war.
Sie griff nach den geliebten Büchern, um
immer weiter einzudringen in die Gedankenwelt
ihrer Zeit. Denn die Männer, die aus ihren stillen
Gelehrten- und Dichterstuben all die köstlichen Dinge
in die Welt schickten, lebten ja, sie waren ja Kinder
ihrer Zeit, wie sie es selbst werden wollte.
Anne vernachlässigte während des Erwachens
ihrer ersten Liebe den Vater sehr. Und er ließ es
gern geschehen, er war froh, daß die liebenden
Augen seines Kindes nicht forschend fragten, wenn
sein Mut, sein frischer Schaffenseifer zeitweise zu
erlahmen drohte.