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und bildete eine kleine Laube. Ein Brettchen war
zwischen die Aste des Busches gellemmt. Antonie
und Annele setzten sich darauf, während Rösle sich
auf einen Zweig schwang. Da saßen sie nun und
lachten und tuschelten und lauschten, ob ihnen
jemand folgen würde.
Aber vorerst blieb es still. Nur die Mücken
summten und der Zweig knarrte, denn Rösle
zappelte mit den Beinen voller Unruhe und Freude.
Anne und Antonie begannen von ihrer Schule
zu plaudern, von den Schulkameradinnen, von der
Lehrerin.
Immer lebhafter zappelte Rösle auf ihrem
Ast. Sie fühlte sich plötzlich wieder in den Hinter—
grund gedrängt. Sie sann nach, wie sie wieder
Herrin der Situation werden könnte. Da kamen
die Buben ganz friedlich. Mademoiselle mochte die
Eintracht wiederhergestellt haben. Die Haare
waren freilich wirr, die hellen Anzüge und die
weißen Strümpfe zeigten böse Grasflecken, aber das
focht sie nicht an.
Sie fanden die Mädchen im Holunderbusch
und gesellten sich zu ihnen. Christoph schwang sich
auf die Mauer und setzte fich rittlings.
Annele rief: „Aber Christel, das sollen wir
doch nicht.“
Der Knabe wollte dem warnenden Rufe der
Schwester folgen, da lachte Rösle spöttisch auf.
„Bah, da sind bei uns ganz andere Mauern! Viel,
viel höher! Da sitze ich oft. Und das dürft Ihr
nicht mal?“
Und Christoph blieb sitzen. Er riß sich einen
Holunderzweig ab und bearbeitete ihn, um sich eine
Flöte zu machen. Dabei pfiff er leise vor sich hin.