Full text: Stenographischer Bericht der 34ten Generalversammlung Deutscher Müller und Mühlen-Interessenten zu Nürnberg vom 17. bis 20. Juni 1906 (34. (1906))

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erscheint. Es muß da zunächst das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit nach— 
gewiesen werden, welcher Forderung gegenüber der Beschuldigte sich regel— 
mäßig darauf beruft, das, was er getan habe, sei „allgemein Brauch“, 
und das zu beweisen mißlingt selten. Wenn dann auch der Richter über— 
zeugt ist, daß von solchem Brauch der Bruch mehr ehrt als die Befolgung, 
so muß er doch freisprechen, wenn er die Möglichkeit zugeben muß, 
daß der Beklagte das Bewußtsein der Rechtswidriakeit seines Tuns nicht 
gehabt hat. 
Jin anderen Falle beruft sich der Beschuldigte darauf, daß er nicht 
„reine Kleie“, sondern Futtermittel, Mischkleie oder was sonst verkauft 
habe. Eine gesetzliche Verpflichtung, in der Rechnung oder auf den 
Säcken die Art dieser Mischung usw. genauer anzugeben, besteht bekanntlich 
nicht, und durch diese Masche des Gesetzes ist schon mancher dem Straf— 
richter entschlüpft. Auch versagt der Betrugsparagraph oft aus dem 
Grunde, daß seine notwendige Voraussetzung, nämlich die Beschädigung 
des Vermögens des Käufers nicht erwiesen werden kann. Selbst wenn 
festgestellt wird, daß der Käufer nicht das bekommen hat, was er mit 
Recht erwarten durfte, so muß ferner noch nachgewiesen werden, daß er 
auch an seinem Vermögen geschädigt worden ist, was zu erweisen nicht 
immer möglich ist, weil der billige Preis des sogenannten Futtermittels 
nicht immer in auffälligem Mißverhältnis zu seinem Werte steht. Endlich 
kommen auch noch Fälle vor, wo zugegeben werden muß, daß der Klein— 
verkäufer in gutem Glauben von der Vollwertigkeit seiner Ware überzeugt 
ist, obgleich tatsächlich das Gegenteil der Fall. Für die redlichen Müller 
bleibt der Schaden derselbe, ob nun das gefälschte Futtermittel mit böser 
Absicht oder in gutem Glauben verkauft wird. Wie kann da der Schaden 
vergütet werden, ohne den gutgläubigen Händler mehr zu schädigen, als 
nach Lage der Sache gerechtfertigt und erträglich erscheint? Man dürfte 
ihm vielleicht ein Rückgriffsrecht auf denjenigen verleihen, von dem er die 
betreffende Ware gekauft hat; aber einmal ist der finanzielle Erfolg eines 
solchen Rückgriffes nicht immer gesichert, und Ehrenstrafen, die der abge— 
faßte Wiederverkäufer erlitten hat, können auf andere nicht übertragen 
werden. Außerdem aber befindet sich der eigentliche Fälscher oft im 
Ausland und ist somit für die deutsche Strafgerechtigkeit unerreichbar. 
Aus diesen Darlegungen dürfte erhellen, daß den Mißbräuchen im 
Futtermittelverkehyr auf Grund des allgemeinen Strafgesetzbuches nicht 
wirksam entgegengetreten werden kann. Es muß also ein Sondergesetz 
hier die Lücke füllen! 
Da könnte man zunächst an das Gesetz zur Bekämpfung des un— 
lauteren Wettbewerbes denken; denn man geht gewiß meistens nicht fehl, 
wenn man die Mißbräuche, die sich im Füttermittelverkehr eingeschlichen 
haben, moralisch und wirtschaftlich dem unlauteren Wettbewerb gleich— 
stellt. Juristisch ist das aber nach der Fassung, die das Gesetz gegen den 
unlauteren Wettbewerb erhalten hat, nicht wohl angängig; denn die 
Hauptbestimmung dieses Gesetzes ist nur dann anwendbar, wenn der un— 
lautere Wettbewerb öffentlich geschieht, wenn die unwahren Behauptungen, 
die den Anschein eines besonders günstigen Angebotes erwecken sollen, an 
einen unbestimmten Personenkreis gerichtet werden. Handlungen, die sich
	        
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