Volltext: Eine anonyme deutsche Gottesdienstordnung aus der Reformationszeit

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verstehst, was dazu gehört, es ist dies und das darin, was sich nicht recht schicken will in der 
Gemeinde““, der nicht, wenn er nur den Leuten vertraut, augenblicklich sollte — zu jeder 
AÄnderung — Ja sagen.“ 3. B.: „Wenn jemand zu unserem Martin Luther ge— 
treten wäre mit den Worten: „„Ihr habt so schöne Lieder gestellt, Herr Doktor, 
aber mir blutet das Herz im Leibe, wenn ich denke, nach 300 Jahren werden 
die Leute das doch nicht mehr so singen können wie wir jetzt und dann werden 
sie dies und jenes ändern wollen““, würde er nicht gesagt haben: „„Ihr guter 
Narr, denkt ihr denn, daß der Luther in den Buchstaben steckt? Haben wir nicht 
den Ambrosius und andere aus dem Lateinischen ins Deutsche umgesetzt? Da— 
bei hat auch müssen manches Wort ins Gras beißen, weil man's nicht ebenso 
schaffen konnte, und mancher Gedanke hat sich anders gewendet, so daß der 
Ddeutsche mit eingekrochen ist unter des Lateiners Mantel, aber wir haben doch 
den Ambrosius nicht herausgetrieben. Was soll's denn für ein Unglück geben, 
venn sie uns aus unserem Deutsch, sofern es nicht mehr gangbar wäre, in 
ihres umsetzen? Und wenn sie dies und jenes ändern und gar nicht säuberlich 
verfahren, den Luther sollen sie doch lange nicht heraustreiben““ (V, 6a4s f.). 
Also, die Frage: „Existiert eine Verpflichtung, ein Lied zum öffentlichen Gebrauch entweder 
so aufzunehmen, so wie es der Verfasser gedichtet hat, oder gar nicht, ... wird man nicht 
hejahen können“ (XIII, 182). Im Gegenteil, es kann und muß je geschehen, daß in jedem 
Liede, „was unserer Existenz widerstrebt, aufgehoben werde“ (XIII, 183); nur, „je mehr man 
das Ursprüngliche schonen kann und doch den Zweck erreichen, es zum gemeinsamen Gebrauch 
zu adoptieren, desto besser ist es“ (XIII, 182). Außerdem wird bei Zusammenstellung eines 
seden Gesangbuches darauf zu achten sein, daß „in Beziehung auf den Kirchengesang .... 
eine zu große Differenz der Ansicht und des Geschmackes stattfindet“; u. a. wird immer „die 
Mage eintreten, daß die gebildeten Stände keine Andacht haben können von den Liedern, die 
das Volk singt“ (XIII, 178). Da aber ein Gesangbuch den Zweck hat, „die Gemeinschaft zu 
befördern“, „muß eine billige Auskunft getroffen werden zwischen den verschiedenen ... im 
S„chwange gehenden Denkungsarten sowohl als Bildungsstufen“ (V, 638). Daher der Grund— 
satz: „Je mehr Mannigfaltigkeit in den Gesangbüchern ist, desto besser sind sie“ 
XIII, 182). 
Aber auch bei aller Mannigfaltigkeit wird doch ein Gesangbuch nie etwa „als Versuch eines 
allgemeinen deutschen Gesangbuches auftreten wollen“. „Ein Gesangbuch, das so allgemein 
sein wollte, würde nirgends in einer wirklichen Gemeinde ein recht erbauliches sein“ (V, 656). 
In Bezug auf die eigentlich „liturgischen Elemente“ ist eine Hauptfrage die: 
„In welchem Maße eine freie Selbstbestimmung — des Geistlichen — auch hierbei noch 
stattfindet?“ (I, 115). „Offenbar muß ja hier eine Abstufung unter den Geistlichen 
stattfinden. Das gänzliche Gebundensein aller auf gleiche Weise an den Buch— 
staben muß nur auf wenige leicht zu bestimmende Punkte beschränkt sein; im 
übrigen müssen die Geistlichen freigelassen werden. Völlig gebunden seien nur die 
jungen noch nicht gehörig bewährten und die schwachen an Talent und Einsicht. .... Aus⸗ 
zulassen in einzelnen Fällen, nur daß kein Hauptpunkt übergangen werde, und aus mehreren 
der geltenden Formulare zusammenzuschmelzen, das stehe allen erfahrenen und tadellosen 
Pfarrern frei. Eigenes zu bilden, wo sie es gut finden, nur daß sie dem Wesentlichen der 
vorgeschriebenen Formulare treu bleiben und sich an ihren Gang halten. das sei das Vorrecht 
der bewährten und ausgezeichneten“ (V, 177). 
Unantastbar ist das Herrengebet. „Das Vaterunser ist eine Formel, die besteht, 
bestanden hat und immer wiederkehrt“ (XIII, 200). Zu vermeiden ist allerdings eine „über— 
mäßige, ganz sinnlose Wiederholung des Gebetes Christi“, die es „zu einer gedankenlos ab— 
gesprochenen Formel“ herabwürdigt (V, 114 f.). „Gänzlich unzulässig aber ist es, daß man, 
um das Mechanische zu vermeiden, dies Gebet paraphrasiert, was man dem Worte Christi 
nicht thun sollte; und überhaupt muß man sagen, daß dies Gebet die höchste symbolische 
Autorität hat“ (XIII, 200).
	        
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