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nehmen. An solchen Glückstagen war schon die Haltung, mit
der ich an den Verkaufsstand herantrat, eine ganz andere. Ge—
hobenes Selbstbewußtsein strahlte aus der „Gönnermiene“, mit
welcher ich mich nach dem Preise von Diesem oder Jenem
erkundigte, obgleich ich den ganzen Kram längst auswendig wußte.
Mit einem Wohlwollen, das dem meinen in nichts nachstand,
wurde ich dann von der dicken GObstlerin bedient und ein schmeichel—
haftes „So, junger Herr!“ nach dem andern kitzelte mein Ohr
und meine Hochachtung für uns beide. Passirte es aber, daß
am gewohnten Tage durch besonderes Mißgeschick — selbstver—
ständlich nie durch mein Verschulden! — der bewußte Kreuzer
oder Groschen ausblieb, dann drückte sich ein bescheidener,
demütiger, seitlich nach den „verbotenen Früchten“ schielender
Knirps der Mauer entlang zum Thore hinaus und entsetzlich
klangen ihm die Worte der Gbstlerin nach: „Na, junger Herr,
is heut nix?ꝰ“ Eine derartige Schmach konnte immer nur die
Wunderthätigkeit des Kettensteges wieder auslöschen! —
Es ist eigentümlich, wie sprechend deutlich dem alternden
Menschen Empfindungen aus den frühesten Rinderjahren wieder
vor die Seele treten; man erinnert sich der unwesentlichsten
Nebensachen mit viel größerer Klarheit, als der wichtigeren
Ereignisse des späteren Lebens.
Um meine Knabenehre vor dem falschen Verdacht, als
wäre Lüsternheit der Grundzug meines Charakters gewesen, zu
verwahren, will ich erwähnen, daß meine liebevollen Gefühle
für die Obsthändlerin nicht allein ihren genießbaren Habseligkeiten
galten, sondern auch mit anständigem Prozentsatze ihrer Enkelin.
Die kleine, barfüßige „Rettel“, mit dem kurzen schmutzigen
Röckchen, den vollen, braunen Gliedmaßen, und den in wilden
schwarzen Locken über die dunklen Augen herabhängenden Haaren,
interessirte mich sehr, obgleich sie nichts weniger als liebenswürdig
gegen mich war. Ich bekam den Anblick ihres holden Antlitzes
nicht anders, als mit „lang herausgestreckter Sunge“ zu sehen.
Trotz dieser großen Auszeichnung, die mir immer zu teil wurde,