Full text: Beiträge zu Dürers Weltanschauung

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VINN. KAPITEL. 
Der nationale Charakter der drei Dürerstiche. 
Die hinter uns liegende Untersuchung hat uns von der irr- 
tümlichen Zusammenfassung der drei Stiche unter einen gemein- 
samen Gedanken zur Lösung der Trilogie geführt, von da durch 
die mystische Litteratur vom christlichen Ritter und durch- die 
scholastische Zweiteilung des menschlichen Wissens hindurch zu 
der ganz persönlichen Weltanschauung Dürers, die ihrerseits ein 
Spiegelbild ist der Geistesstimmung des deutschen Volkes am 
Vorabend der Reformation./ Dabei zeigt sich dem rückschauenden 
Auge das nmıerkwürdige Schauspiel, dass auch die Forschung sich 
zuweilen in Wellenlinien bewegt. Schon 1884 hat Thausing, ohne 
das mystische Zeitideal vom christlichen Ritter und die beliebte 
Gegenüberstellung göttlicher und menschlicher Weisheit zu kennen, 
das Richtige geahnt, als er über die drei in diesem Buche be- 
handelten Stiche schrieb: „Was, abgesehen von den höchsten 
künstlerischen Qualitäten, jene Blätter populär macht, ist die tiefe 
nationale, die noch tiefere allgemein menschliche Empfindung, in 
der sie empfangen, aus der sie heraus erzeugt sind. Das Entgegen- 
kommen dieses Gefühles bringt sie dem Verständnisse näher, als 
es eine sachliche Erklärung aller Einzelheiten vermöchte. Sie 
atmen etwas von dem Gewissenskampfe, den das deutsche Volk 
eben durchzumachen sich anschickte.“ ! 
Möchte es dem Verfasser gelungen sein, auch durch die 
„sachliche Erklärung aller Einzelheiten“ sie dem Verständnis 
näher gebracht zu haben. Es sei ihm gestattet, bei einem hier 
von Thausing ausgesprochenen Gedanken noch einen Augenblick 
zu verweilen, bei der „tiefen nationalen Empfindung“, aus 
der heraus sie erzeugt sind. 
Der christliche Ritter war ein Ideal, das durch die verschie- 
denen Stellen der Schrift der ganzen Christenheit von vornherein ge- 
geben war. Und doch ist es die deutsche Mystik, und — soweit es sich 
übersehen lässt —, sie allein es gewesen. die dieses Ideal zuerst tiefer 
ı Dürer II, 227.
	        
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