Stanıslaus Stoss.
Aus innerster Volksseele war die Gotik in Deutschland wie
in Frankreich entsprossen. In ihren Schöpfungen spiegelt sich
das Fühlen und Denken des ganzen Volkes wieder. In Polen
dagegen, obwohl auch dort meistenteils deutsche Meister dem
Kunstbedürfnis des Königshofes, des hohen Adels und Clerus
Genüge taten, war die gotische Kunst nicht so eng mit dem
nationalen Empfinden verknüpft wie in Deutschland, wo jugend-
liche Begeisterung das Volk trug und sich der Kunst mitteilte.
Hier in Deutschland stiess die eindringende Renaissance bei
Künstlern und Volk auf Widerstand, weil sie dem deutschen
Fühlen zunächst nicht entsprach. In Polen aber konnte sich
der neue welsche Stil leichter einbürgern, denn die italienische
Kultur erschien für den nationalen Charakter der polnischen
Grossen wie geschaffen, und darum suchte er sie als Ersatz für
die deutsche Kultur sogar verlangend auf.
Schon im Laufe des ı5. Jahrhunderts fand mit der Nieder-
werfung des Deutschordens gegen das Deutschtum, das doch
während des Mittelalters auf die Kultur Polens einen so wohl-
tuenden Einfluss ausgeübt hatte, eine Reaktion statt. Nun wandte
sich der Königshof, wenn er mitunter auch noch an deutscher
Art festhielt, mit Vorliebe der feineren italienischen Kunst zu und
rief im Verein mit weltlichen und geistlichen Grossen eine neue
künstlerische Bewegung hervor. Italien wurde für Polen das
Musterland für höfische Sitten und die Hochschule für den vor-
aehmen polnischen Adel in wissenschaftlicher wie in künstleri-
scher Beziehung. Von durchschlagendem KEinflusse musste es
sein, als der hervorragende Florentiner Humanist, Filippo Buo-