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Zeit, die ihn in höherem Grade interessirten, mittels seiner lebhaften
Phantasie so darstellt, als habe er sie miterlebt, und so muß man manches
selbst in dem wahrhaftesten Tone berichtete Abenteuer mit größter Vorsicht
beurtheilen. So ist nicht sicherzustellen, daß er wirklich zu Wels und zu
Innsbruck in den Diensten Maximilians J. gestanden sei, wenn wir auch
nicht daran zweifeln dürfen, daß er mit dem kaiserlichen Hofgesinde freund—⸗
schaftlich verkehrt habe. Ebenso war er wohl nicht mit dem kaiserlichen
Heere in Genua und nahm auch an dem Kriegszuge Karls V. 1544 nicht
theil. Letzteres glaubte man aus den Worten des Spruchgedichtes „Der
Zug Kaiser Caroli V.“: „Wir lagen vor Scholon.“ Doch ist es wahr—⸗
scheinlicher, daß er dieses Gedicht als poetischen Kriegsbericht für einen
Theilnehmer an dem Zuge verfaßt habe. Gegen seine Theilnahme spricht
auch die Entschiedenheit, mit der er sich gegen die Kriegführung ausspricht,
sowie auch der Umstand, daß seine Meisterbücher gerade aus dieser Zeit
zahlreiche Dichtungen aufweisen. Auch das in dem Liede „Der Gast im
Sack“ (gedichtet 5. October 1549) dargestellte Abenteuer, er habe einmal
als Handwerksbursche, als er seine Zeche nicht bezahlen konnte, eine Nacht
in einem Sack zubringen müssen, beruht wohl entweder auf freier Er—
findung, oder ist eine Umarbeitung eines gelesenen Schwankes. Glaubwürdiger
klingt das in dem Liede „Der Rock“ geschilderte Erlebniß, daß er durch
ein Meisterlied seinen wegen einer Zechschuld verfetzten Rock habe aus—
lösen müssen.
Und wie er so gerne seine Person mit wichtigeren Ereignissen in
nahe Verbindung bringt, so kleidet er Erlebnisse, Lehren u. a. gerne in
die Form eines Traumgesichtes. Sein Loblied auf Nürnberg erschien
zuerst als Meistergesang mit dem Titel „Ein süßer Traum“. In einem
zweiten Meisterliede „Das Auslegen des Traumes“ deutet er die Alle—
gorie, in die der Traum gekleidet ist. Nürnberg erscheint als ein edler,
an Schönheit einem Phönix gleichender Vogel dargestellt, den vier mit her—
vorragenden Gaben ausgerüstete Frauen (Weisheit, Gerechtigkeit, Wahrheit,
Wahrhaftigkeit) gegen die ihn bedrängenden Feinde schützen.
Wie er als junger Geselle in einem Traume belehrt ward, er solle
nicht mit arbeitsscheuen Genossen guten (wir sagen blauen) Montag halten,
erzählt er in dem Liede „Der gute Montag“. Einfach und schlicht, aber
treffend und gewiß überzeugend läßt Sachs das wundergroße, starke, auf
7 Füßen gehende Thier — den guten Montag — sprechen: „Ausbeiß
ich manchen aus der Stadt, ich mache tolle Koöpf', leere Beutel und volle
Kröpf'.“ In einem anderen Traumgesicht wetteifern Frau Sorge und
Frau Faulheit ihn für sich zu gewinnen. Der wackere Hans beherzigt
aber die Worte der Sorge: „Willst du der Faulheit hulden, so mußt
du Armut dulden“ und läßt sich nicht verlocken durch die Worte der Faul—⸗
heit: „Wem der Herr gönnt seine Speise, gibt er's schlafender Weise.“
Der Traum, den er in dem Liede „Der Jungbrunn“ erzählt, hat ihn be—
lehrt, daß kein Kraut auf Erden gewachsen fei, wodurch der Mensch ver—⸗
jüngt werden könnte. Von den sich auf des Dichters Leben beziehenden