Volltext: Kaiser Wilhelm der Erste

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Pariser so viele gekrönte Häupter in der französischen Hauptstadt 
vereinigt. Waren doch wieder die Augen von ganz Europa auf 
Paris als den Mittel- und Glanzpunkt der europäischen Bildung 
und Gesittung gerichtet! War doch die Ausstellung ein neues 
Blatt in dem Ruhmeskranze des kaiserlichen Frankreich, ein Erfolg, 
der die preußischen Siege des vergangenen Jahres zu überstrahlen 
bestimmt schien. Denn mit tiefem Unbehagen hatten die Franzosen 
das Anwachsen des preußischen Staates und die Gründung des nord⸗ 
deutschen Bundes gesehen, das Emporkommen einer Macht jenseits 
des Rheins, die Frankreich von der ersten Stelle in Europa zu ver— 
drängen drohte. Der Gedanke, daß diese Stelle Frankreich gebühre, 
war seit der Regierung Ludwigs XIV. in dem französischen Volke 
so allgemein verbreitet und so tief gewurzelt, daß es die Siege der 
preußischen Waffen geradezu als eine ihm angethane Kränkung be— 
trachtete, für die es Sühne zu fordern berechtigt zu sein glaubte. 
Der Ruf: „Rache für Sadowa!“ ging daher von Mund zu Mund, 
und der Kaiser, wollte er nicht seinen Thron gefährden, mußte 
darauf bedacht sein, dem ungestümen Drängen des heißblütigen 
Volkes nach Vergeltung auf irgend eine Weise Genugthuung zu ver— 
schaffen. Zudem waren seine eigenen Berechnungen durch den uner— 
wartet raschen Sieg Preußens kläglich gescheitert. So drängte er 
sich den kriegführenden Mächten bei den Friedensverhandlungen 
als Vermittler auf, in der Absicht, vor den Augen Europas als 
Schiedsrichter zu erscheinen und für Frankreich dabei einige Vor— 
teile zu gewinnen. So suchte er im Jahre 1867 das Groß— 
herzogtum Luxemburg mit Fraukreich zu vereinigen. Aber alle 
seine Bemühungen vereitelte die Staatskunst Bismarcks und der 
feste Entschluß des Königs, keinen Fußbreit deutschen Landes 
preiszugeben. Der letztere bewies seine Friedensliebe, indem er 
die preußische Besatzung aus der Festung Luxemburg zurückzog. 
Aber das Großherzogtum wurde von den europäischen Mächten 
für neutrales Gebiet erklärt, und der Kaiser sah sich in seinen 
Erwartungen abermals getäuscht. Schon damals schien daher 
die Abrechnung mit Frankreich unvermeidlich. Indes scheuten 
die Franzosen vor einem Kriege noch zurück, weil sie die Bewaffnung 
ihres Heeres mit dem neuen Chassepotgewehre und die Ausrüstung 
desselben mit den Mitrailleusen, von denen sie sich eine ungeheure
	        
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